Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des Unterhaltes der geschiedenen Ehefrau bei Vorrang der zweiten, von dem Unterhaltspflichtigen getrenntlebenden Ehefrau nach Abkehr von der Dreiteilungsmethode. Darlegungs- und Beweislast bei Präklusion von Alttatsachen
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs der geschiedenen Ehefrau ist nur auf deren Einkommensverhältnisse sowie auf die des Unterhaltspflichtigen abzustellen (§ 1578 BGB). Die zweite Ehefrau ist nicht im Wege der Dreiteilung in die Bedarfsermittlung aufzunehmen. Unterhaltszahlungen an sie finden daher bei Ermittlung des Bedarfs der geschiedenen Ehefrau keine Berücksichtigung.
2. Erst bei Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist die zweite Ehefrau einzubeziehen. Fließen dem Unterhaltspflichtigen Realsplittingvorteile aus der zweiten Ehe zu, müssen diese dem Unterhaltspflichtigen zur Deckung des Bedarfs der zweiten Ehefrau verbleiben. Soweit der Unterhaltspflichtige nicht ohne Gefährdung seines angemessenen Selbstbehaltes den Bedarf beider Ehefrauen decken kann, ist dem Vorrang der zweiten Ehefrau dadurch Rechnung zu tragen, dass der ungedeckte Bedarf der vorrangigen Ehefrau sowohl aus dem Bedarf des Unterhaltspflichtigen als auch aus dem Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau zu bedienen ist, wobei sich die geschiedene Ehefrau entsprechend ihrer quotalen Teilhabe an dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen an dem Bedarf der zweiten Ehefrau zu beteiligen hat.
3. Den die Abänderung Begehrenden trifft die Darlegungs- und Beweislast, dass er wegen unterbliebener Aufklärung über geänderte Umstände auf Seiten des Berechtigten gehindert war, im Ausgangsverfahren Tatsachen vorzutragen, die objektiv in die abzuändernde Entscheidung hätten einbezogen werden müssen.
Normenkette
BGB § 1573 Abs. 2, §§ 1578, 1581, 1609; FamFG § 238 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Neuss (Beschluss vom 19.11.2010; Aktenzeichen 50 F 49/10) |
Tenor
Unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Neuss vom 19.11.2010 dahin abgeändert, dass der Antragsteller ab dem 1.1.2012 nicht mehr verpflichtet ist, an die Antragsgegnerin nachehelichen Unterhalt zu zahlen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
I. Die Beteiligten hatten im Jahre 1996 geheiratet. Sie trennten sich 1999. Seit dem 16.03 2002 sind sie geschieden. Aus der Ehe ist der am 24.4.1996 geborene Sohn J. hervorgegangen, der nach der Trennung bis August 2008 bei der Antragsgegnerin lebte, sodann von Ende August 2008 bis Ende Juli 2010 in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht war, im August 2010 wieder in den Haushalt der Antragsgegnerin zurückkehrte und nunmehr seit Mitte März 2011 im Haushalt des Antragstellers lebt. Während der Unterbringungsmaßnahme leitstete der Antragsteller einen Kostenbeitrag von monatlich 635 EUR; die Antragsgegnerin erbrachte monatlich 340 EUR.
Die Antragsgegnerin ist in ihrem erlernten Beruf als medizinisch-technische Assistentin mit einer Wochenarbeitszeit von 29 Stunden tätig. Sie befindet sich in der nach ihrem Ausbildungsstand höchst möglichen Tarifgruppe.
Der Antragsteller ist seit 2006 wieder verheiratet. Aus dieser Ehe ist die am 2.8.2006 geborene Tochter J. hervorgegangen. Im Jahre 2009 trennten sich der Antragsteller und seine zweite Ehefrau, die nicht erwerbstätig ist. Der Antragsteller erbringt Unterhaltsleistungen für seine zweite Ehefrau i.H.v. monatlich 806 EUR und für seine Tochter i.H.v. monatlich 301 EUR. Seit 2010 wird sein Einkommen nach Lohnsteuerklasse 1 versteuert.
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Antragstellers, der Antragsgegnerin weiterhin nachehelichen Unterhalt zu zahlen.
Der Antragsteller war mit Urteil des AG Krefeld vom 18.3.2004 verurteilt worden, der Antragsgegnerin für die Zeit ab Juli 2003 einen Gesamtunterhaltsbetrag i.H.v. monatlich 887 EUR (709 EUR Elementarunterhalt und 178 EUR Altersvorsorgeunterhalt) zu leisten. Diese Entscheidung wurde mit Urteil des AG Neuss vom 26.6.2009 abgeändert. Für die Zeit ab April 2009 wurde die Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers auf 242 EUR - hiervon 49 EUR Altersvorsorgeunterhalt - reduziert. Das AG sprach der Antragsgegnerin in dem damaligen Verfahren im Hinblick auf die Fremdunterbringung des Sohnes Aufstockungsunterhalt zu, den es unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs des gemeinsamen Sohnes der Beteiligten sowie der weiteren Tochter des Antragstellers nach der Dreiteilungsmethode des BGH ermittelt hatte. Auf Seiten des Antragstellers hatte es dessen steuerpflichtiges Erwerbseinkommen, 1/3 seiner steuerfreien Bezüge und einen Realsplittingvorteil sowie einen unbelasteten Wohnvorteil von monatlich 800 EUR berücksichtigt. Der Antragsgegnerin rechnete das AG Einkünfte aus einer Vollzeittätigkeit an. Hinsichtlich einer Befristungsmöglichkeit führte das AG aus, dass eine solche zurzeit noch nicht in Betracht komme. Es sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin aufgr...