Leitsatz (amtlich)
1. Verlangt der Geschädigte wegen der Chronifizierung seiner unfallbedingten, behandlungsbedürftigen Erkrankung ein weiteres Schmerzensgeld, kann dem die Rechtskraft des vorangegangenen Schmerzensgeldurteils entgegenstehen.
2. Ob sich Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Vorprozess nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen als derart nahe liegend darstellten, dass sie schon dort bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnten, beurteilt sich nicht nach der prozentualen Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Verletzungsfolgen. Entscheidend ist allein die objektive Möglichkeit des Geschädigten, das diesbezügliche Risiko zu diesem Zeitpunkt schmerzensgelderhöhend geltend zu machen.
3. Nur dann, wenn eine Berücksichtigung der Verletzungsfolge so gut wie ausgeschlossen erscheint, weil die Möglichkeit ihres Eintritts eher theoretischer Natur, ohne jegliche konkrete Anhaltspunkte ist, weswegen sie ein Sachkundiger nicht in eine Darstellung möglicher Verletzungsfolgen aufnehmen würde, fehlt es an der objektiven Möglichkeit in dem vorgenannten Sinne.
4. Ist die Behandlung der unfallbedingten Verletzung noch nicht abgeschlossen und lässt sich - wie regelmäßig - der Behandlungserfolg nicht sicher vorhersagen, besteht für den Geschädigten bei Erhebung seiner Schmerzensgeldklage die Gelegenheit wie auch der Anlass, entweder einen Aufschlag auf das Schmerzensgeld wegen des fortbestehenden Risikos geltend zu machen oder aber sich auf eine offene Teilklage zu beschränken, mit der die mögliche, aber noch nicht eingetretene Schadensfolge aus der Schmerzensgeldbemessung herausgenommen wird.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2; StVG § 11 S. 2
Verfahrensgang
LG Duisburg (Aktenzeichen 3 O 225/19) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.07.2020 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg - 3 O 225/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I. Die am xxxx.1947 geborene Klägerin begehrt von den Beklagten die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes wegen einer psychischen Erkrankung, die sie auf einen tödlichen Verkehrsunfall ihres Ehemannes im Jahr 2003 zurückführt.
Am 09.09.2003 überrollte ein durch den Beklagten zu 1) geführter und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherter Lkw, dessen Halterin die Beklagte zu 2) war, den Ehemann der Klägerin, der noch am selben Tag seinen erlittenen Verletzungen erlag. Die alleinige Unfallverantwortlichkeit des LKW-Fahrers steht zwischen den Parteien nicht in Streit.
Die Klägerin nahm daraufhin die Beklagten vor dem Landgericht Duisburg (8 O 334/07) unter anderem auf Schmerzensgeld wegen infolge des Unfalls erlittener psychischer Beeinträchtigungen in Anspruch. Das Landgericht Duisburg holte ein psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen K. (Bl. 41 ff. d. A.) ein, die bei der Klägerin eine Anpassungsstörung im Sinne einer abnormen prolongierten Trauerreaktion (ICD-10: F 43.21) diagnostizierte. Konkret gelangte die Sachverständige zu folgender Beurteilung:
"Bei Frau C. zeigt sich eine anhaltende Trauerreaktion mit einer überwiegend depressiven Reaktion. [...]
Bei der prolongierten, abnormen Trauerreaktion handelt es sich um eine behandlungsbedürftige Störung. Durch die ambulante Psychotherapie kann die nicht ausreichend geleistete Trauerarbeit nachgeholt werden.
Es besteht nach wie vor eine akute Behandlungsbedürftigkeit. Unter intensiver psychotherapeutischer Begleitung ist damit zu rechnen, dass die erhebliche Instabilität und Dysbalance von Frau C. gebessert und stabilisiert werden kann.
Dass weitere unfallbedingte Beeinträchtigungen mit Krankheitswert eintreten können, erscheint unter einer psychotherapeutischen Begleitung unwahrscheinlich. Die oben beschriebenen unfallbedingten Beeinträchtigungen zeigen einen prolongierten Verlauf. Unter einer Fortsetzung der ambulanten Psychotherapie ist mittelfristig nicht davon auszugehen, dass eine irreversible schwere Störung bestehen bleibt. Ob vereinzelte Symptome einen dauerhaften Krankheitswert erreichen, ist abschließend nicht sicher zu beurteilen."
Darüber hinaus wurden in dem Gutachten auch Suizidgedanken der Klägerin behandelt, die etwa bis zum Jahr 2007 bestanden hatten, jedoch zum Zeitpunkt der Exploration nach Einschätzung der Sachverständigen glaubhaft verneint wurden.
Auf der Grundlage der sachverständigen Ausführungen entschied das Landgericht Duisburg mit Urteil vom 18.12.2008 (Bl. 8 ff. d. A.) unter anderem, dass die Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 Euro an die Klägerin zu zahlen haben und verpflichtet sind, ihr jeden weiteren über den ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag hinausgehenden Schaden...