Entscheidungsstichwort (Thema)
Brillenabschlag bei Unfall aufgrund Vorinvalidität eines Brillenträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Musste ein Versicherter bereits vor einem Unfall, durch den seine Augen geschädigt wurden, eine Brille tragen, so ist dieser Vorinvalidität grundsätzlich gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88 durch einen sog. Brillenabschlag Rechnung zu tragen.
2. Da seit der Einführung der AUB 88 die Funktionsbeeinträchtigung für jedes Auge gesondert zu ermitteln ist, kann nur eine frühere Beeinträchtigung des bei dem Unfall verletzten Auges als Vorinvalidität i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88 gewertet werden.
3. War der Geschädigte vor der unfallbedingten Beeinträchtigung seiner Sehkraft bereits Brillenträger, findet ein Abzug wegen Vorinvalidität nicht statt, wenn der Geschädigte die Sehhilfe allein zur Behebung der Gebrauchsminderung des vom Unfall nicht betroffenen Auges benötigte oder wenn die daneben bestehende Minderung auf dem nachfolgend geschädigten Auge so geringfügig war, dass sie - isoliert betrachtet - die Verordnung einer Sehhilfe nicht gerechtfertigt hätte.
4. Ist bei einem Brillenträger der vor dem Unfall bestehende Grad der Minderung der Sehkraft des unfallbetroffenen Auges nicht feststellbar, geht dies zu Lasten des für die Vorinvalidität beweispflichtigen Versicherers.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 11 O 349/02) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.12.2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung auf der Grundlage der V. AUB 88 sowie der "Besonderen Bedingungen für die Unfall-Rente plus Zusatzleistung bei einem Invaliditätsgrad ab 50 %". Das versicherte Invaliditätskapital beläuft sich auf 180.000 DM. Außerdem hat der Kläger ab 50 % Invalidität Anspruch auf eine monatliche Unfallrente sowie eine Einmalzahlung in Höhe der zehnfachen monatlichen Unfallrente.
Am 15.12.2000 erlitt er bei einem Arbeitsunfall eine schwere Prellung des rechten Augapfels, die trotz intensiver Behandlung zum nahezu vollständigen Verlust des Sehvermögens auf dem verletzten Auge führte. Obgleich nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 AUB bei dem Verlust oder der Funktionsunfähigkeit eines Auges 50 %ige Invalidität vorliegt, gewährte die Beklagte ihm nur eine Entschädigung nach einem Invaliditätsgrad von 47 %, weil er bereits vor dem Unfall eine Brille trug. Durch diese Sehhilfe wurde die bis dahin bestehende Sehschwäche vollständig korrigiert.
Der Kläger hat geltend gemacht, ein sog. Brillenabschlag sei nicht gerechtfertigt. Die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1983, auf die die Beklagte sich berufe, sei nicht mehr zeitgemäß. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass bei ihm nur eine leichte Fehlsichtigkeit vorgelegen habe.
Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.430,13 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.8.2002 sowie ab dem 1.1.2001 eine monatliche Unfallrente i.H.v. 766,94 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, bei der Ermittlung der Vorinvalidität sei beim Kläger von der - durch die Sehhilfe korrigierten - Sehkraft seines Auges auszugehen. Die mit dem Tragen einer Sehhilfe verbundenen Nachteile seien aber in Form eines Brillenabschlages zu berücksichtigen. Dieser sei selbst bei gering- bis mittelgradigen Korrekturen mit 3 % anzusetzen.
Das LG hat sich der Argumentation des Klägers angeschlossen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, der das angefochtene Urteil für richtig hält, bittet um Zurückweisung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil und den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Parteien streiten allein darüber, ob bei der Berechnung der der Höhe nach unstreitigen Entschädigung von der beim Kläger bestehenden Gesamtinvalidität ein Brillenabschlag vorzunehmen ist. Das hat das LG im Ergebnis zu Recht verneint.
1. Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei der Beurteilung der Gebrauchsfähigkeit eines Auges grundsätzlich von der durch eine Brille korrigierten Sehkraft auszugehen. Hiervon ist jedoch ein Abschlag für die Gebrauchsminderung zu machen, die sich aus der Notwendigkeit des Tragens einer Sehhilfe und den damit generell verbundenen Belastungen ergibt (BGH v. 27.4.1983 - IVa ZR 193/81, MDR 1983, 736 = VersR 1983, 581; bestätigt durch BGH v. 28.2.1990 - IV ZR 36/89, MDR 1990, 604 = VersR 1990, 478,...