Entscheidungsstichwort (Thema)
"Newcomer"-Regelung in einer Ausschreibung zur Sammlung und zum Transport verschiedener Abfallfraktionen
Leitsatz (amtlich)
1. Ist nach den Ausschreibungsbedingungen die Möglichkeit eröffnet, bei einem längerfristigen Auftrag zur Sammlung unterschiedlicher Abfallfraktionen, bestimmte Kostenbestandteile mit variablen Kosten zu kalkulieren, kann das Angebot eines Bieters, in dem sämtliche Kostenbestandteile für den gesamten Vertragszeitraum mit Festkosten kalkuliert worden sind, nur dann vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn sich aus den Ausschreibungsbedingungen aus objektivierter Sicht eines verständigen Bieters zwingend ergibt, dass die Vergabestelle eine Kalkulation mit variablen Preisanteilen verlangt hat.
2. Sofern die Vergabestelle die Bewerbung sog. "Newcomer" in den Ausschreibungsbedingungen dadurch ermöglichen will, dass anstelle einschlägiger Referenzen weitergehende Angaben zur Eignung und Fachkunde gemacht und entsprechende geeignete Unterlagen vorgelegt werden können, hilfsweise sich die Fachkunde und Leistungsfähigkeit aus anderen unternehmensbezogenen Angaben ergeben kann, so ist die Vergabestelle berechtigt, sich aufgrund einer großen Vielzahl einzelner Aufträge und ggf. stichprobenhafter Referenzabfragen von der Eignung des Bieters zu überzeugen.
Normenkette
GWB §§ 97, 160; VgV §§ 53, 57
Nachgehend
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
1) Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 1.7.2020, Az. 69d-VK2-32/2020, abgeändert und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
2) Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen, unter Einschluss der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.
3) Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Antragsgegners im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
4) Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, unter Einschluss der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
5) Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.050.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Mit europaweiter Bekanntmachung vom 17.3.2020 schrieb der Antragsgegner im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter der Ausschreibungsnummer ... die Sammlung und den Transport verschiedener Abfallfraktionen im X-Kreis in zwei Losen im offenen Verfahren aus.
Der jeweilige Vertrag soll am 1.1.2021 beginnen und zum 31.12.2024 enden. Optional ist eine zweimalige Verlängerung um jeweils zwei Jahre durch einseitige Erklärung des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer möglich. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit war unter Ziff. III 1.3. der Auftragsbekanntmachung u.a. gefordert:
Angabe von mindestens zwei Referenzen über die für die angebotene besondere Leistungsart, die Gegenstand der Vergabe ist (zeitgleiche Sammlung und Transport von mindestens zwei verschiedenen Abfallfraktionen im jeweiligen Sammelgebiet), wesentlichen in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren erbrachten Leistungen des Auftragnehmers, 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV. Sofern der Bieter (noch) nicht über hinreichende Referenzen im Bereich der abfallwirtschaftlichen Leistungen verfügt ("Newcomer"), kann er weitere Angaben machen, warum er sein Unternehmen für ausreichend fachkundig und leistungsfähig für die Erbringung der abgefragten Leistungen hält. Hierzu muss er weitere geeignete Unterlagen, Bescheinigungen etc. einreichen. In jedem Fall sind die für die Durchführung des Auftrags verantwortlichen Personen zu benennen. Diese müssen über persönliche Referenzen in den letzten 3 Jahren verfügen, die sich auf vergleichbare Leistungen beziehen und geeignet sind, die Referenzen des Bieters zu ergänzen oder zu ersetzen. Hierauf kann nur verzichtet werden, wenn sich die Fachkunde aus anderen unternehmensbezogenen Angaben zur Fachkunde und Leistungsfähigkeit in vergleichbarer Weise ergibt.
In den Bewerbungsbedingungen enthielt der Abschnitt "Preise" unter Ziff. 7.7.3 folgende Regelung:
Ferner ist im Angebotsschreiben die der Preisanpassung nach § 18 der Besonderen Vertragsbedingungen zu Grunde zu legende prozentuale Gewichtung der einzelnen Kostenbestandteile anzugeben. Die prozentuale Gewichtung muss die Kostenbestandteile sämtlicher Entgelte des jeweiligen Loses umfassen. Die Indizes für die Kostenbestandteile werden vorgegeben. Der im Angebot bezifferte Fixkostenanteil bleibt während der gesamten Vertragslaufzeit gleich.
Die vom Bieter anzugebende prozentuale Gewichtung muss der tatsächlichen Gewichtung entsprechen. Die Summe der anzugebenden Zahlenwerte muss dabei einschließlich des Fixkostenanteils 100 % ergeben. Der Fixkostenanteil muss mindestens 30 % betragen.
Für die Anpassung der Kostenbestandteile werden die vom statistischen Bundesamt amtlich festgestellten Veränderung...