Entscheidungsstichwort (Thema)
Unangemessen hohe Eignungsanforderungen
Leitsatz (amtlich)
1. Besonders hohe Eignungsanforderungen können zu ihrer Rechtfertigung dann die Darlegung gewichtiger Gründe seitens der Vergabestelle erfordern, wenn sie sich aufgrund eines kleinen Bieterkreises in besonderem Maße auf den Wettbewerb auswirken und das Vergabeverfahren so ausgestaltet ist, dass dem Teilnahmewettbewerb noch ein Leistungswettbewerb nachfolgt.
2. Macht die Vergabestelle die Bejahung der Eignung vom Erreichen einer deutlich überdurchschnittlichen Gesamtpunktzahl abhängig, können solche gewichtigen Gründe fehlen, wenn der Bieter eine unterdurchschnittliche Bewertung der einzelnen Eignungsanforderungen jeweils durch eine überdurchschnittliche Bewertung anderer Eignungsanforderungen ausgleichen kann. Durch eine solche Kompensationsmöglichkeit können ggf. die von der Vergabestelle vorgetragenen Gründe für die hohen Anforderungen an einzelne Eignungsanforderungen widerlegt sein.
Normenkette
GWB § 97 Abs. 1 S. 2, § 122 Abs. 4 S. 1, § 160 Abs. 3 Nr. 3
Verfahrensgang
Vergabekammer des Landes Hessen (Beschluss vom 14.12.2020; Aktenzeichen 69d-VK-39/2019) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen der Beschluss der Vergabekammer vom 14.12.2020 (Az.: 69d - VK 39/2019) abgeändert.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das streitgegenständliche Vergabeverfahren aufzuheben und bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Aufstellung der Eignungsanforderungen zurückzuversetzen, diese unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zunächst neu aufzustellen.
Von den Kosten des Nachprüfungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens - auch in Bezug auf die vorangegangene Eilentscheidung - sowie von den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Antragstellerin und des Antragsgegners haben jeweils der Antragsgegner 85% und die Antragstellerin 15% zu tragen.
Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Verfahren vor der Vergabekammer wird für die Antragstellerin und für den Antragsgegner für notwendig erklärt.
Der Streitwert wird auf Euro 75.000 festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsgegner schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom 18.9.2019 unter der Ref. Nr. ... die Vergabe des Dienstleistungsauftrags zur Durchführung von Einkauf und Implementierung einer neuen Software Sozialgesetzbuch II (SGB II) für das kommunale Jobcenter des X-Kreises in Stadt1 für die Dauer von fünf Jahren im Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb nach VgV europaweit aus.
Die Auftragsbekanntmachung (Anlage AS1 Vergabekammerakte, nachfolgend "VergKA") enthielt unter Ziff. 1.3) "Kommunikation" folgenden Hinweis:
"Die Auftragsunterlagen stehen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei zur Verfügung unter:
https//evergabe ...."
Hierbei handelte es sich um einen Direktlink (Deeplink) jedenfalls zu den Teilnahmebedingungen (Anlage Ast 2, Bl. 113 d.A.).
Unter Ziff. II.2.5) der Bekanntmachung ("Zuschlagskriterien") heißt es:
"Der Preis ist nicht das einzige Zuschlagskriterium; alle Kriterien sind nur in den Beschaffungsunterlagen aufgeführt."
In der Auftragsbekanntmachung wurde hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Ziff. III.1.2)) u.a. die Vorlage von Bilanzen oder Bilanzauszügen der letzten drei Jahre, die Vorlage von Bonitätsnachweisen und die Darstellung der Umsatzentwicklung gefordert sowie die Bewertung der Eigenkapitalquote, des Bonitätsindexes und der Umsatzentwicklung angekündigt.
Hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit (Ziff. III.1.3)) wurde u.a. der Nachweis von insgesamt zwei näher beschriebenen Referenzen in vergleichbarer Größenordnung und Schwierigkeitsgrad gefordert. Außerdem sollten Nachweise über die berufliche Befähigung von mindestens 2 Projektleitern und 10 weiteren technischen / fachlichen Mitarbeitern vorgelegt werden. Die beiden Referenzen sowie die Nachweise der beruflichen Befähigung der Projektleiter und -mitarbeiter würden bewertet werden.
In den Teilnahmebedingungen (Anlage Ast 2 VergKA) wird unter Ziff. 4.2 (S. 23 bis 32) die Prüfung der Eignung erörtert.
Danach existieren Ausschlusskriterien (sog. A-Kriterien), die erfüllt werden müssen, sowie Bewertungskriterien (sog. B-Kriterien), deren Punktbewertung in die Prüfung der Eignung eingehen. Im Folgenden wird für die einzelnen bereits in der Bekanntmachung gekannten B-Kriterien angegeben, bei Erreichen welcher Werte ein niederer Zielerfüllungsgrad (NZG), ein mittlerer Zielerfüllungsgrad (MZG) und ein hoher Zielerfüllungsgrad (HZG) angenommen wird und welche Punktzahl dem jeweiligen Grad zugeordnet ist. Hinsichtlich der beiden Referenzen soll nach Ziff. 4.2.4 eine Bewertung anhand von 17 dort genannten Kriterien vorgenommen werden. Die Anzahl der jeweils erfüllten Kriterien ist für die Annahme eines NZG, MZG oder HZG maßgebend. Für die Bewertung der beiden Projektleite...