Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchbrechung der Abstraktheit der Akkreditivverpflichtung
Leitsatz (amtlich)
Gegenüber einem Zahlungsbegehren des Akkreditivbegünstigten greift der Einwand unzuässiger Rechtsausübung nur durch, wenn für jedermann ersichtlich oder zumindest liquide beweisbar ist, dass ihm ein Zahlungsanspruch aus dem Kausalgeschäft nicht zusteht.
Normenkette
BGB § 242; ZPO § 542 Abs. 2, §§ 935, 940
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.04.2024; Aktenzeichen 3-15 O 15/24) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. April 2024 (Az. 3-15 O 15/24) abgeändert.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren - jeweils zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern - zu unterlassen, aufgrund der Präsentation von Rechnungen der ... A GmbH vom 11. März 2024 mit den Aktenzeichen "..." und/oder "..." Zahlungen aus dem von der Bank1 AG am 19. September 2023 bestätigten und am 20. September 2023 korrigierten Dokumentenakkreditiv Nr. ... einzuziehen und/oder in Empfang zu nehmen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf EUR 1.140.000,00 festgesetzt.
Gründe
I. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt die Antragstellerin die Unterlassung der Einziehung bzw. Entgegennahme der Höchstsumme aus einem in Höhe von EUR 5.700.000,00 auf die Antragsgegnerin als Zweitbegünstigte übertragenen Dokumentenakkreditiv.
Die Antragstellerin gehört zur X-Gruppe, die zu den führenden Entwicklern und Herstellern von Präzisionskomponenten für Motoren, Getriebe und Fahrwerke für eine Vielzahl von Industrieanwendungen gehört. Die Antragsgegnerin ist ein im Vereinigten Königreich ansässiges Unternehmen, das sich auf den weltweiten Handel von Rohstoffen und den anschließenden Verkauf und die Lieferung dieser Rohstoffe an industrielle Abnehmer wie u. a. Stahlwerke, aber auch auf die Herstellung und Verarbeitung verschiedenster Stahlrohre spezialisiert hat.
Die Antragsgegnerin hat Anfang Januar 2023 im Zuge einer übertragenden Sanierung die insolvente ... A GmbH - eine Herstellerin diverser Arten von (nahtlosen) Stahlrohren für verschiedenste Industrieanwendungen - übernommen. Hierüber hat die ... A GmbH die Antragstellerin mit Schreiben vom 17. Januar 2023 (Anlage ASt 1) informiert. Bereits im Juli 2023 stand die ... A GmbH erneut kurz vor einer Insolvenz. Gleichwohl kam im August 2023 zwischen der Antragstellerin und der ... A GmbH ein neuer Rahmenvertrag zustande. Unter diesem neuen Rahmenvertrag schlossen die Parteien sodann einen Preis- und Liefervertrag für den Zeitraum vom 1. Oktober 2023 bis zum 31. Dezember 2026, nach dem die Antragstellerin nebst weiteren Unternehmen der X-Gruppe Einzelbestellungen zu festgelegten Preisen tätigen konnte.
Etwaige Kaufpreisverbindlichkeiten der Antragstellerin aufgrund von Lieferungen unter diesem Rahmen- und Liefervertrag sollten mit dem am 19. September 2023 von der Bank1 AG bestätigten und am 20. September 2023 wegen eines Übertragungsfehlers korrigierten Akkreditivauftrag vom 12. September 2023 an die Bank1 AG durch ein zunächst auf ein Jahr befristetes Dokumentenakkreditiv in Höhe von EUR 7.500.000,00 gesichert werden.
Mit E-Mail vom 18. März 2024 teilte die Bank1 AG der Antragstellerin mit, dass ihr Akkreditivdokumente für eine Auszahlung aus dem Akkreditiv in Höhe von
EUR 5.700.000,00 (EUR 3.150.000,00 und EUR 2.550.000,00) vorgelegt worden seien (Anlage ASt 2). Tatsachlich belaufen sich die der Bank1 AG vorgelegten Rechnungsdokumente (Anlage ASt 3), die als vermeintlichen Aussteller die ... A GmbH erkennen lassen, auf den Höchstbetrag des Akkreditivs in Höhe von EUR 7.500.000,00 (EUR 4.230.000,00 und EUR 3.270.000,00).
Die Bank1 AG bat die Antragstellerin nachfolgend um Überprüfung der
Rechnungen und teilte mit, dass sie beabsichtige, das Akkreditiv auszuzahlen. Die
Antragstellerin widersprach der Auszahlung mit E-Mail vom 22. März 2024 (Anlage ASt 4). Zur Begründung führte die Antragstellerin aus, dass sie gar keine Bestellungen bzw. Lieferabrufe getätigt habe, die Zahlungspflichten in dieser Höhe hätten auslösen können, die von der Antragsgegnerin eingereichten Dokumente nicht den im Akkreditiv aufgeführten Anforderungen genügten und erhebliche Zweifel an der Echtheit der eingereichten Dokumente bestünden.
Unter dem 3. April 2024 hat die Antragstellerin vor dem Landgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung angebracht. Zur Begründung hat sie u. a. ausgeführt, die Inanspruchnahme des Akkreditivs sei offenkundig rechtsmissbräuchlich. Es seien nicht nur die formalen Auszahlungsvoraussetzungen nicht erfüllt, vielmehr habe...