Leitsatz (amtlich)
Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bei der bislang ein Aufsichtsrat nach den Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes gebildet war, ist ein Statusverfahren nach § 97AktG auch dann durchzuführen, wenn die Gesellschaft infolge dauerhaften Absinkens der Arbeitnehmerzahl mitbestimmungsfrei geworden ist.
Die Anwendung des in § 96 Abs. 2 AktG niedergelegten Kontinuitätsprinzips setzt dabei nicht voraus, dass die von den Beteiligten bislang angenommen Umstände über die Verpfichtung zur Bildung eines Aufsichtsrates auch tatsächlich vorgelegen haben.
Mangels Durchführung des Verfahrens nach §§ 97, 98 AktG ist von einem Fortbestehen des Aufsichtrates auszugehen, so dass dieser bei fehlender Beschlussfähigkeit auf Antrag durch gerichtliche Bestellung zu ergänzen ist.
Normenkette
AktG §§ 96, § 96 ff., §§ 97, 104, § 104 ff., § 108; MitbestG §§ 1, 5-7, 15, 28; AktGEG § 27
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und auf Antrag des Antragstellers werden
1) A,
2) B,
3) C,
4) D,
5) E,
5) F,
7) G,
8) H,
9) K.
10) L,
als Arbeitnehmervertreter zu Mitgliedern des Aufsichtsrates der Antragsgegnerin bestellt.
Eine außergerichtliche Kostenerstattung findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 25.000 EUR
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtratsmitgliedern der Arbeitnehmer nach § 104 AktG.
Die am 7.6.2004 gegründete Antragsgegnerin ist eine 100 % ige Tochter der XY-GmbH.
Nachdem das LG Frankfurt/M. am 8.6.2004 (Az. 2-06 O 445/03) festgestellt hatte, dass für die Bildung des Aufsichtsrates bei der XY-GmbH die Vorschriften des MitbestG 1976 anzuwenden seien, weil bei dieser als Obergesellschaft über die Zurechnung nach § 5 MitbestG mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigt seien, machte die Geschäftsführung der XY-GmbH im Rahmen eines Statusverfahrens nach § 97 AktG am 18.3.2005 bekannt (Bl. 210 f. d. Akte), dass aus ihrer Sicht ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des MitbestG nur bei der Antragsgegnerin zu bilden sei, als dem Unternehmen bei dem die Leitungsmacht innerhalb der Gruppe für alle Beteiligte ausgeübt werde. Sie teilte mit, dass die Gesellschaft im Rahmen eines Betriebsüberleitungsvertrages zum 1.3.2005 sämtliche Betriebsmittel auf die Antragsgegnerin übertragen habe, die nunmehr die Verwaltung durchführen solle und die arbeitstechnische Organisations- und Leitungsmacht im eigenen Namen (tatsächliche Fortführung des Betriebes) übernommen habe. Die Antragsgegnerin übe nunmehr die alleinverantwortliche Leitung der Beteiligungsgesellschaften aus und die Gesellschaft werde zur reinen Finanzholding. Eine Zurechnung der im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer zur Gesellschaft gem. § 5 MitbestG, wie vom LG Frankfurt noch festgestellt, scheide mithin aus. Der Aufsichtsrat sei somit bei der Antragsgegnerin nach den Bestimmungen des MitbestG zu bilden. Bei der Gesellschaft werde daher kein Aufsichtsrat gebildet, wenn nicht antragsberechtigte nach § 98 Abs. 2 AktG innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung das nach § 98 Abs. 1 AktG zuständige Gericht anriefen.
Nach dieser Bekanntmachung wurde die Aufsichtratswahl durch die Geschäftsführung der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 4.8.2005 mit dem Hinweis eingeleitet, dass gem. § 7 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG 8 Arbeitnehmervertreter zu wählen seien (Bl. 168 f. d. Akte). Am 1.12.2005 wurden sodann die Arbeitnehmermitglieder des Aufsichtsrates gewählt und am 13.12.2005 diejenigen der Arbeitgeber benannt.
Nachdem im Gesamtkonzern zwischenzeitlich mehr als 20.000 Mitarbeiter tätig sind, bestand der Aufsichtsrat zuletzt aus 20 Mitgliedern (jeweils 10 Arbeitgeber- und 10 Arbeitnehmervertreter).
Die Amtszeit aller Aufsichtsratsmitglieder endete nach Mitteilung der Beteiligten am 31.3.2010 mit der Entlastung des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2009.
Nachfolgend wurde eine Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Antragsgegnerin nicht mehr eingeleitet; vielmehr änderte diese ihre Satzung mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 19.4.2010 (Eintragung in das Handelsregister am 14.5.2010) dahingehend, dass die Gesellschaft keinen Aufsichtsrat mehr hat.
Mit Schreiben vom 28.4.2010 bat der Antragsteller die Antragsgegnerin um Stellungnahme bis 12.5.2010, warum bislang keine Einleitung der Aufsichtsratswahl erfolgt sei und bat, die bis dahin tätigen Arbeitnehmervertreter für eine Ersatzbestellung durch das Gericht zu bestätigen (Bl. 172 ff. d. Akte).
Mit Schreiben vom 4.5.2010 (Bl. 175 ff. d. Akte) wurde die Antragsgegnerin durch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ebenfalls aufgefordert, die Zustimmung zur Notbestellung bis zum 12.5.2010 zu erklären.
Mit zwei ähnlichen Schreiben vom 11.5.2010 wandte sich die Antragsgegnerin sodann an Antragstellerin und deren Bevollmächtigte (Bl. 177, 179d. Akte). Die Antragsgegnerin vertritt dort die Auffassung, dass bei ihr weder nach Gesetz noch nach Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bilden sei und verweist auf den Beschluss des Sena...