Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 30.01.2015; Aktenzeichen 2 KLs 505 Js 11469/13) |
AG Gießen (Entscheidung vom 23.04.2013) |
Tenor
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Gießen vom 23.04.2013 - Az.: ... - und der angefochtene Beschluss des Landgerichts Gießen vom 30.01.2015 werden aufgehoben.
Gründe
Die Beschwerde ist als Beschwerde gegen die letzte Haftentscheidung der Kammer vom 30.01.2015 zulässig (§ 304 StPO) und auch in der Sache erfolgreich.
Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Gießen vom 23.04.2013 (Az.: ...), welcher durch Beschluss des Landgerichts Gießen vom 30.01.2015 aus den Gründen seines Erlasses und des Urteils aufrechterhalten wurde, vorgeworfenen Straftaten nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Gießen vom 26.09.2013 des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe schuldig, nachdem das Urteil des Landgerichts Gießen vom 26.09.2013 im Schuldspruch rechtskräftig geworden ist (...) und nur noch der Rechtsfolgenausspruch in Frage steht.
Bei dem Angeklagten besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Angeklagte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen (s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 112, Rn. 17). Dabei sind die in dem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen zu berücksichtigen, wobei in der Regel die Erwartung einer hohen Strafe allein ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Fluchtgefahr begründen kann, die Anforderungen an zusätzliche Umstände sind jedoch umso geringer, je höher die Straferwartung ausfällt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 112, Rn. 24). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet die nicht rechtskräftig verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten auch unter Inbezugnahme der bisher erlittenen, anrechenbaren Untersuchungshaft derzeit noch einen beträchtlichen Anreiz, sich dem weiteren Fortgang des Strafverfahrens einschließlich der weiteren Strafvollstreckung nicht zur Verfügung zu halten. Bei einer Straferwartung in der bisher erkannten Höhe wäre das Strafende erst im Januar 2017 erreicht, da der Angeklagte Untersuchungshaft in der vorliegenden Sache seit dem 23.04.2013 verbüßt. Einer vorzeitig bedingten Entlassung nach § 57 StGB steht vorliegend entgegen, dass das Landgericht mit Urteil vom 30.01.2015 noch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet hat, so dass noch eine Reststrafenerwartung von rund elf Monaten besteht. Ausweislich der Urteilsgründe vom 30.01.2015 steht der Angeklagte im Übrigen einer solchen Unterbringung ablehnend gegenüber. Er möchte vielmehr eine Therapie nach § 35 BtMG durchführen. Der dadurch begründete Fluchtanreiz ist daher derzeit noch als erheblich zu beurteilen. Diesem Fluchtanreiz stehen genügend fluchthemmende Bindungen familiärer oder sonstiger Art nicht gegenüber.
(Von der Darstellung der nachfolgenden Ausführungen wird aus Gründen des Persönlichkeitsrechts abgesehen - die Red.)
Unter diesen Umständen spricht bei der gebotenen Gesamtabwägung weiterhin eine größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte sich im Falle seiner Freilassung dem weiteren Verfahren nicht zur Verfügung halten wird.
Gleichwohl führt die Beschwerde zur Aufhebung des Haftbefehls, weil das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist und die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft sich deshalb als unverhältnismäßig erweist (§ 120 Abs. 1 StPO).
Das Beschleunigungsgebot erfasst das gesamte Strafverfahren. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren [BVerfG, NStZ-RR 2005, 346]. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates verstärkt sich mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft [BVerfG, Beschlüsse vom 13.05.2009, 2 BvR 388/09, 05.12.2005, 2 BvR 1964/05, und 16.03.2006, 2 BvR 170/06, jeweils zit. n. juris; NJW 1980, 1448]. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen. Zum anderen steigen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund [BVerfG, Beschlüsse vom 16.03.2006, 2 BvR 170/06, und 13.05.2009, 2 BvR 388/09, jeweils zit. n. juris]. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ...