Entscheidungsstichwort (Thema)
Indizielle Bedeutung von Streitwertangaben
Leitsatz (amtlich)
Den eigenen Streitwertangaben des Klägers zu Beginn des Verfahrens kommt grundsätzlich indizielle Bedeutung für die Bewertung des mit einem Unterlassungsbegehren verfolgten Interesses zu. Für eine von diesen Angaben abweichende Festsetzung des Streitwerts besteht daher nur dann Anlass, wenn diese Angaben schon nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers oder auf Grund konkreter Einwendungen der Gegenseite übersetzt oder auch untersetzt erscheinen. Dies gilt auch für Patentverletzungsverfahren; auch in solchen Verfahren ist es daher für eine Bemessung des Streitwerts in der Regel nicht erforderlich, eine über die restliche Laufzeit des Patents angestellte Lizenzbetrachtung vorzunehmen (Abgrenzung zu OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 341 - Streitwertheraufsetzung II).
Normenkette
ZPO § 3
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts auf 100.000 EUR mit Beschluss vom 8.4.2010 hat auch in der Sache Erfolg. Der Streitwert war, gemäß der Angabe der Klägerin in ihrer Klageschrift, auf 50.000 EUR herabzusetzen.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt den eigenen Streitwertangaben des Klägers zu Beginn des Verfahrens eine gewisse indizielle Bedeutung für die Bewertung des mit einem Unterlassungsbegehren verfolgten Interesses zu, weil zu Beginn des Verfahrens über den Erfolg der Klage meist keine Gewissheit besteht, so dass im Falle des Unterliegens eine zu hohe Streitwertangabe und im Falle des Obsiegens eine zu niedrige Streitwertangabe für die Partei oder deren Prozessbevollmächtigten mit Nachteilen verbunden sein kann. Dies begründet eine gewisse Vermutung dafür, dass zu diesem Zeitpunkt geäußerte Vorstellungen über die Streitwerthöhe dem tatsächlichen Interesse des Klägers entsprechen; dies gilt erst recht, wenn auch die Gegenseite gegen diese Angaben keine Einwände erhebt (vgl. Senat, Beschl. v. 2.7.2009 - 6 W 18/09). Allerdings kommt den Streitwertangaben der Parteien dann keine Bedeutung zu, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass diese das tatsächliche Interesse des Klägers offensichtlich nicht zutreffend widerspiegeln. Für die Praxis der Streitwertbemessung bedeutet dies, dass grundsätzlich keine Bedenken bestehen, bei der Festsetzung zunächst den Angaben des Klägers zu folgen und nur bzw. erst dann korrigierend einzugreifen, wenn diese Angaben schon nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers oder auf Grund konkreter Einwendungen der Gegenseite übersetzt oder auch untersetzt erscheinen.
2. Demgegenüber vertritt der 2. Zivilsenat des OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 10.5.2011 (I-2 W 15/11, GRUR-RR 2011, 341) - jedenfalls für den Bereich der Patentstreitsachen - eine von diesen Grundsätzen abweichende Auffassung. Er führt aus, nach seinen Erfahrungen stelle es eine beinahe regelmäßige Praxis dar, dass beide Parteien im einträchtigen Zusammenwirken mit einer zur niedrigen Streitwertangabe prozessieren, um Gerichtskosten "zu sparen". Ihre Ursache habe diese Erscheinung in der Tatsache, dass die Parteivertreter jedenfalls in größeren Verfahren ihre eigenen Gebühren nach Stundenaufwand abrechneten. Eine unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung berühre deswegen nicht mehr den eigenen Honoraranspruch des Anwalts, sondern wirke sich einseitig nur noch zu Lasten der Landeskasse aus. Aus verschiedenen Äußerungen von Anwälten wisse der Senat, dass die zu niedrige Streitwertangabe in solchen Fällen in der direkten Absicht erfolgt, durch die mittels der untersetzten Streitwertangabe "eingesparten" Gerichtsgebühren weiteren Spielraum für die Abrechnung zusätzlichen eigenen Honorars zu gewinnen. Darauf müsse mit einer angemessenen Anhebung des Streitwerts reagiert werden. Soweit die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten dies nicht selten mit dem Hinweis zu torpedieren versuchten, keine genaue Kenntnis über die maßgeblichen Bemessungsfaktoren zu haben, sei dies in aller Regel vorgeschoben. Dem sei dadurch zu begegnen, dass vom Gericht ein Streitwert geschätzt wird, der so hoch ist, dass er die Parteien zuverlässig motiviert, im Rahmen eines Antrags auf Streitwertkorrektur ihrer Mitwirkungspflicht wahrheitsgemäß nachzukommen. Nach Mitteilung der hierzu erforderlichen Angaben sei im Patentverletzungsstreit eine über die restliche Laufzeit des Patents angestellte Lizenzbetrachtung vorzunehmen, bei der die vom Verletzer in diesem Zeitraum voraussichtlich noch zu erzielenden Umsätze mit einem an der oberen Grenze des denkbaren Rahmens anzusetzenden Lizenzsatz zu multiplizieren sei. Unterhalb des sich daraus ergebenden Betrages werde der Streitwert für die auch auf Unterlassung gerichtete Klage nicht festgesetzt werden können.
Dieser Beurteilung und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die ...