Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung im Parteibetrieb nach der EuZVO
Leitsatz (amtlich)
1. Der vom EuGH herausgestellte Gleichrang der Zustellungsarten nach der EuZVO egalisiert nicht deren Anwendungsbereich.
2. Einer Privatpartei, die eine Zustellung im Parteibetrieb ins Europäische Ausland zu besorgen hat, steht einzig die unmittelbare Zustellung nach Art. 15 EuZVO offen. Sie fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 14 EuZVO.
3. Der Privatpartei steht es nicht frei, nach ihrem Belieben eine Ersetzung dieser Zustellungsart durch eine solche nach Art. 14 EuZVO auf ihre Veranlassung durch das Gericht zu verlangen. Eine Ersetzung der Zustellungsart kommt erst dann in Betracht, wenn der Privatpartei keine Möglichkeit der Zustellung mehr nach der EuZVO verbleibt (dazu OLG Dresden, Beschluss vom 6.11.2018 - 4 W 940/18).
Normenkette
EuZVO Art. 2, 4-12, 14-15; ZPO § 183 Abs. 1, § 922 Abs. 2, § 1069 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Gießen (Beschluss vom 19.10.2021; Aktenzeichen 3 O 447/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Auf Antrag der Antragstellerin hat das Landgericht mit Beschluss vom 5.10.2021 dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung strafbewehrt untersagt, Geschäftsgeheimnisse zu erlangen und/oder zu nutzen und/oder nutzen zu lassen und/oder Dritten offenzulegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses wird auf Selbigen (Bl. 69 - 72 d.A.) verwiesen.
Mit Schreiben vom 14.10.2021 (Bl. 78 ff. d.A.) hat die Antragstellerin bei dem Landgericht die Zustellung dieses Beschlusses im Wege der internationalen Zustellung nach der EuZVO beantragt.
Dies hat das Landgericht mit Beschluss vom 19.10.2021 (Bl. 92 f. d.A.) mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin habe den von ihr erwirkten Beschluss im Parteibetrieb zuzustellen, was ihr nach Artikel 15 EuZVO auch möglich sei.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 22.10.2021 (Bl. 104 - 108 d.A.), der das Landgericht mit Beschluss vom 25.10.2021 (Bl. 112 f. d.A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den die internationale Zustellung verweigernden Beschluss des Landgerichts ist zulässig (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 6.11.2018 - 4 W 940/18 = NJW-RR 2019, 319).
Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.
Gemäß §§ 936, 922 Abs. 2 ZPO ist der von der Antragstellerin erwirkte Beschluss im Parteibetrieb (§ 191 ZPO) zuzustellen.
Da der Antragsgegner seinen Sitz in Belgien hat, hat die Zustellung des erwirkten Vollstreckungstitels gemäß § 183 Abs. 1 ZPO vorrangig auf der Grundlage der EuZVO zu erfolgen, die unterschiedliche Wege für die Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken vorsieht. Die Artt. 4 - 11 EuZVO beinhalten Regelungen zur förmlichen Zustellung, Art. 12 EuZVO betrifft die Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen, Art. 14 EuZVO hingegen die Zustellung durch Postdienste und Art. 15 EuZVO schließlich die unmittelbare Zustellung.
Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass all diese Zustellungsarten für gerichtliche Schriftstücke gleichrangig nebeneinanderstehen (vgl. EuGH, ECLI:EU:C:2006:96 = NJW 2006, 975 - Plumex/Young Sports NV). Nach dem vom EuGH herausgestellten Gleichrang der Zustellungsarten kann derjenige, dem nach der EuZVO mehrere Zustellungsarten zur Verfügung stehen, auf jede dieser zurückgreifen, eine Rangordnung besteht nicht. Hieraus folgt entgegen der Meinung der Antragstellerin aber nicht, dass es ihr freisteht, nach Belieben eine dieser Zustellungsarten zu wählen. Das gleichrangige Nebeneinander der Zustellungsarten egalisiert nicht deren Anwendungsbereich, den es freilich weiterhin zu beachten gilt.
Dies zugrunde gelegt, kann die Antragstellerin deswegen nicht zwischen den unterschiedlichen Zustellungsarten für gerichtliche Schriftstücke frei entscheiden, weil ihr für die von ihr vorzunehmende Zustellung (§§ 922 Abs. 2, 936 ZPO) einzig die unmittelbare, also parteibetriebene Zustellung nach Art. 15 EuZVO offensteht.
Eine Zustellung nach Art. 14 EuZVO ist ihr hingegen versagt. Sie fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Zustellungsart. Abzustellen ist für den Anwendungsbereich des Art. 14 EuZVO auf die in Art. 2 Abs. 1 EuZVO vorgezeichnete Zustellung durch sog. Übermittlungsstellen. Nur diese Übermittlungsstellen können sich der Zustellung nach Art. 14 EuZVO bedienen; andere Beteiligte können nur im Rahmen des Art. 15 EuZVO zustellen (vgl. MüKoZPO/Rauscher, 5. Aufl. 2017, EG-ZustellVO, Art. 14 Rn. 3; Musielak/Voit, ZPO/Stadler, 18. Aufl. 2021, EuZustVO, Art. 14 Rn. 1). Als deutsche Übermittlungsstelle für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland im Sinne des Art. 2 EuZVO wird nach § 1069 Abs. 1 Nr. 1 ZPO "das die Zustellung betreibende Gericht" tätig. Da Privatparteien dort nicht aufgeführt sind, scheidet eine ...