14-jähriges Kind darf über Coronaschutzimpfung mitentscheiden
Das OLG Dresden hat den Antrag eines Elternteils auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für eine Coronaschutzimpfung seiner 14-jährigen Tochter abgewiesen. Das Kind lehnte eine Impfung ohne vorherige ausführliche ärztliche Beratung ab.
Uneinigkeit der Eltern über die Notwendigkeit einer Impfung
In dem vom OLG entschiedenen Fall waren die getrenntlebenden und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über die Notwendigkeit einer Coronaschutzimpfung ihrer 14-jährigen Tochter uneinig. Nicht nur die Mutter, sondern auch die 14-jährige Tochter selbst standen einer Impfung skeptisch gegenüber. Die Tochter selbst wünschte vor einer endgültigen Entscheidung eine ausführliche ärztliche Beratung.
Familiengericht entschied zugunsten des Kindesvaters
Dem Vater dauerte die Zögerlichkeit von Kindesmutter und Tochter zu lange. Er beantragte beim zuständigen AG im Rahmen eines Eilverfahrens, ihm die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Schutzimpfung für das Kind zu übertragen. Das AG gab dem Antrag des Vaters unter Hinweis auf die eindeutigen Empfehlungen des RKI zugunsten einer Schutzimpfung für 14-jährige Kinder statt.
Empfehlungen des RKI sind Richtschnur für Impfentscheidung
Auf die Beschwerde des Kindes kam das OLG in zweiter Instanz zu einem anderen Ergebnis. Unter Hinweis auf entsprechende Entscheidungen anderer Gerichte vertrat auch das OLG die Auffassung, dass die Entscheidungsbefugnis über die Durchführung einer Corona-Schutzimpfung regelmäßig auf den Elternteil zu übertragen sei, der sich in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des RKI befindet. Dies entspreche im Hinblick auf den durch die Impfung bewirkten Gesundheitsschutz in der Regel dem gemäß § 1697a BGB für die Entscheidung maßgeblichen Kindeswohl.
Ab 14 Jahre wächst die Einsichtsfähigkeit von Kindern deutlich
Dieser Grundsatz gilt nach Auffassung des Senats aber nur in den Fällen, in denen das Kind nicht ausdrücklich andere Vorstellungen äußere. Insbesondere bei Kindern, die das 14. Lebensjahr bereits vollendet haben, sei davon auszugehen, dass ihnen eine eigene Meinungsbildung auf Grundlage der breit geführten medialen Diskussion zur Coronaproblematik möglich sein könne. Auch der Gesetzgeber sehe in der 14-Jahresgrenze eine maßgebliche Schwelle, ab der Jugendliche über eine gewisse Einsichtsfähigkeit verfügen. So seien Jugendliche ab dieser Altersgrenze strafmündig gemäß § 19 StGB. Ab 14 Jahren dürften Jugendliche frei über ihre Religionszugehörigkeit gemäß § 5 des Gesetzes über religiöse Kindererziehung entscheiden.
Aufklärungswunsch der Tochter ist hochvernünftig
Die hiernach vom Gesetzgeber vorausgesetzte Einsichtsfähigkeit traute der Senat in besonderem Maße der Beschwerdeführerin im konkreten Fall zu. Diese habe ausdrücklich erklärt, noch keine eindeutige Entscheidung getroffen zu haben und deshalb ein Beratungsgespräch mit der ihr seit vielen Jahren vertrauten Kinderärztin zu wünschen. Diesen Wunsch bewertete der Senat als ausgesprochen vernünftig, während er für das Verhalten der Kindeseltern wenig Verständnis zeigte.
Tochter hat Anspruch auf Information
Das OLG sah keinerlei Gründe, diesen Beratungswunsch des Kindes nicht zu erfüllen. Wenn der Kindesvater sich mit Hilfe eines gerichtlichen Eilantrags über diesen Wunsch hinwegsetzen wolle, so spreche dies nicht für eine sorgfältige Wahrnehmung seiner sorgerechtlichen Verantwortung, zumal er die Impfproblematik mit seiner Tochter bisher kein einziges Mal selbst besprochen habe. Indem er sich über die skeptische Haltung des Kindes einfach hinwegsetze, erschwere er es seiner Tochter, durch Information und Aufklärung eine Grundlage für eine verantwortungsbewusste, eigenständige Entscheidung zu erhalten.
Einwilligung ist Voraussetzung jeder ärztlichen Behandlung
Schließlich stellte das OLG klar, dass die Durchführung jeglicher medizinischer Maßnahmen - also auch einer Impfung - gemäß § 630d BGB der persönlichen Einwilligung des Patienten bedürfe. Dies gelte auch für Kinder, wenn diese einwilligungsfähig sind. Der behandelnde Arzt sei nach dieser Vorschrift verpflichtet, jeden Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Genau dies habe die Beschwerdeführerin mit ihrer Bitte um ein Beratungsgespräch mit der ihr vertrauten Kinderärztin eingefordert.
Nach ärztlicher Aufklärung entscheidet das Kind selbst
Das OLG wies ausdrücklich darauf hin, dass das zu führende Aufklärungsgespräch mit der Kinderärztin oder einem anderen Arzt nicht lediglich eine Alibifunktion habe. Führe die Aufklärung der Tochter dazu, deren bisher eher skeptische Haltung gegenüber einer Impfung zu verstärken, so habe der Kindesvater dies zu akzeptieren.
(OLG Dresden, Beschluss v. 28.1.2022, 20 UF 875/21)
HintergrundInzwischen liegen einige obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Übertragung des alleinigen Bestimmungsrechts über die Durchführung einer Corona-Schutzimpfung bei Minderjährigen im Fall divergierender Ansichten der Sorgeberechtigten vor. Empfehlungen der StIKO als OrientierungsmaßstabIn der Regel haben die Gerichte sich bisher an den Empfehlungen der StIKO orientiert und das alleinige Bestimmungsrecht gemäß § 1628 Satz 1 BGB auf den Elternteil übertragen, der sich in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der StIKO befand (OLG Rostock, Beschluss v. 10.12.2021, 10 UF 121/21; OLG Frankfurt, Beschluss v. 17.8.2021, 6 UF 120/21). StIKO-Empfehlungen als Ersatz für SachverständigengutachtenDas OLG Frankfurt hat den Empfehlungen der StIKO insoweit sogar die „Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens“ beigemessen (OLG Frankfurt, Beschluss v. 8.3.2021, 6 UF 120/21). All diesen Verfahren ist allerdings gemeinsam, dass die betroffenen Kinder keinen entgegenstehenden Willen geäußert hatten, sei es aus Alters- oder aus anderen Gründen. Insofern rückt die aktuelle Entscheidung des OLG Dresden den Willen und das Selbstbestimmungsrecht des Kindes zu Recht in den Fokus solcher Verfahren. |
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