BGH gibt die alleinige Gesundheitssorge dem die Masern-Impfung befürwortenden Elternteil
Die nicht verheirateten, aber gemeinsam sorgeberechtigten Eltern einer 4-jährigen Tochter stritten über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen.
Mutter ist Impfgegnerin, Sorgerecht haben beide
Die Mutter, bei welcher die Tochter lebt, ist Impfgegnerin und vertritt die Auffassung, dass das Risiko für Impfschäden das Infektionsrisiko überwiege.
- Nur wenn von ärztlicher Seite Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, würde sie eine Impfung bei der gemeinsamen Tochter durchführen lassen.
- Der Vater hingegen befürwortet die von der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO) empfohlenen Schutzimpfungen.
Beide wollten alleiniges Sorgerecht
Aufgrund des Streits beantragten sie jeweilsdie Alleinübertragung der Gesundheitssorge. Das Amtsgericht Erfurt übertrug dem Vater das Entscheidungsrecht im Hinblick auf die Durchführung von Impfungen. Auf die Beschwerde der Mutter entschied das OLG Jena wie die Vorinstanz, beschränkte dies jedoch auf bestimmte Schutzimpfungen wie Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Diphterie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren und Meningokokken C. Auch die Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.
Mutter: „unheilvolle Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft“
Grundsätzlich hat bei getrennt und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern derjenige die alleinige Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten des täglichen Lebens, bei dem das Kind lebt. Dies sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und keine schwer abändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (vgl. § 1687 Abs. 1 BGB).
- Handelt es sich jedoch um eine Angelegenheit, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist und die Eltern sich hierüber nicht einigen können,
- so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen (s. § 1628 BGB).
- Hierbei sei die Entscheidungskompetenz demjenigen Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht werde.
Hier machte die Mutter sehr einseitige Ausführungen.
Schutzimpfungen des Kindes: Angelegenheit von erheblicher Bedeutung
Das Oberlandesgericht habe zutreffend die Durchführung von Schutzimpfungen als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesehen, so der BGH in seiner Begründung.
- Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden solle, falle im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an.
- Zudem könne die Entscheidung schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben, wobei hier zunächst offenbleiben könne, ob das Risiko von Impfschäden oder Infektionen überwiege.
Der Vater sei für die Entscheidung über die Durchführung der Impfungen besser geeignet, da er diesen offen gegenüber stehe und sich dabei an den Impfempfehlungen der STIKO - in der Rechtsprechung des BGH als medizinischer Standard angesehen - , orientiere.
Dem Verweis der Mutter, dass die Empfehlungen umstritten seien, ist das Gericht nach Ansicht des BGH zu Recht nicht gefolgt. Es konnte vielmehr aufgrund der als medizinischer Standard anerkannten Empfehlungen der STIKO davon ausgehen, dass der Nutzen der Impfungen deren Risiken überwiege. Daher war das Gericht auch im Rahmen der Amtsermittlung nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen, so der BGH.
(BGH, Beschluss v. 03.05.2017, XII ZB 157/16).
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Hintergrund:
Von 1000 Infektionen verläuft eine tödlich
Eine Krankheit, die eigentlich längst ausgerottet sein könnte, hat wieder Konjunktur. Aber nicht nur die unmittelbaren Gefahren der Infektionskrankheit Masern sind eine Bedrohung. Auch Jahre nach dem Abklingen der Krankheit können besonders im Nervensystem Folgeerkrankungen auftreten.
Die sklerosierende Panenzephalitis – eine besondere Form der Gehirnhautentzündung – verläuft immer tödlich. Der Bundesgesundheitsminister hat daher kein Verständnis für impfkritische Eltern, die seiner Meinung nach aus egoistischen Gründen die Gesundheit der Gesamtbevölkerung gefährden.
Die Lösung wird sowohl vom Bundesgesundheitsminister als auch vom Präsidenten des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, in der Einführung einer Impfpflicht gesehen. Sie verweisen auf die Einführung der Pflicht zur Pockenschutzimpfung in Bayern im Jahre 1807 und die Übernahme dieser Verpflichtung in das Reichsimpfgesetz im Jahre 1875 für das gesamte Deutsche Reich. Hierdurch wurde in Deutschland die Pockenerkrankung nachhaltig ausgerottet. Seit 1980 sind Pocken weltweit kein Thema mehr.
Aktuell mögliche Rechtsgrundlage für eine Zwangsimpfung
Aktuell könnte eine Einführung einer Zwangsimpfung auf § 20 Abs. 6 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gestützt werden. Hiernach ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass „bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen... teilzunehmen haben“. Voraussetzung ist allerdings, dass die epidemische Verbreitung einer übertragbaren Krankheit wahrscheinlich ist. Wenn impfkritische Eltern sich trotz einer solchen Verordnung weigern würden, ihre Kinder impfen zu lassen, könnte gemäß § 72 IfSG gegen sie ein Bußgeld verhängt werden.
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