Was gilt bei Elternkontroverse zur Corona-Impfung eines Kindes?
Auch für die Bevölkerungsgruppe der 12- bis 17-jährigen ist die Ständige Impfkommission (STIKO) zu der Auffassung gelangt, dass die Vorteile einer Impfung gegen die Ansteckungsgefahr durch das Covid-19-Virus bei dieser Altersgruppe das Risiko von sehr seltenen Impfnebenwirkungen überwiegen. Die STIKO spricht daher eine positive Empfehlung für die Impfung auch für diese Gruppe aus.
Wie ist die Rechtslage, wenn ein Elternteil Impfskeptiker, der andere Befürworter ist?
Mittlerweile liegt die erste Entscheidung speziell für den Elternstreit zur Corona-Impfung vor. Das OLG Frankfurt a. M. hat im Fall eines 2005 geborenen Kindes geschiedener Eltern entschieden, für das aufgrund von Vorerkrankungen die STIKO eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff empfohlen hatte. Der Vater und das 16-jährige Kind befürworteten die Impfung, die Mutter war dagegen. Sie hielt es für eine "Gentherapie". Beide Eltern waren sorgeberechtigt.
Vater beantragte Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung
Der Vater beantragte die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung. Diese wurde die im Wege der einstweiligen Anordnung vom Familiengericht vorläufig erteilt. Die Mutter, die deswegen vor das OLG ging, scheiterte mit folgender Begründung des OLG:
- Ein 16-jähriger benötigt bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern.
- Gem. § 1628 S. 1 BGB kann bei Uneinigkeit der Eltern in einer einzelnen Angelegenheit die Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil übertragen werden.
- Sie ist bei eine Impfung dem Elternteil zu übertragen, welches die Impfung entsprechend der STIKO-Empfehlungen befürwortet.
Auch das ältere Kind Kind hat ein Mitspracherecht
Das OLG betonte, dass auch der Kindeswille nach § 1697 a BGB zu beachten sei, wenn Alter und Entwicklungsstand des Kindes es ihm erlauben, sich eine eigenständige Meinung zum Streitthema zu bilden. Diese Voraussetzungen lagen vor, aber auch das Kind befürwortete die Impfung. Die Entscheidung ist rechtskräftig. (OLG Frankfurt a. M., Beschluss. v. 17.08.2021, 6 UF 120/21).
STIKO-Empfehlungen sind auf für sonstige Impfstreitigkeiten maßgeblich
Das OLG Frankfurt machte die Empfehlungen der STIKO bereits in einem anderen Impfstreit zur Grundlage für eine Entscheidung. Dabei ging es in einem Sorgerechtsstreit zwischen den Eltern eines Kleinkindes um die Durchführung der für Kinder empfohlenen Standardimpfungen.
Besteht unter den Eltern Uneinigkeit, muss das Familiengericht auf Antrag die fehlende Zustimmung ersetzen. Es entschied:
- Während bei anderen medizinischen Eingriffen regelmäßig ein Gutachten eingeholt wird,
- tritt bei Impfungen also das STIKO-"Diktum" an dessen Stelle.
Sorgeberechtigte waren über Standardimpfungen uneinig
Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines im Jahr 2018 geborenen Kindes waren sich uneinig über die Durchführung der für Kinder empfohlenen Standardimpfungen. Der Kindesvater hatte Bedenken hinsichtlich der Impffähigkeit des gemeinsamen Kleinkindes. Die Mutter wollte die allgemein empfohlenen Schutzimpfungen demgegenüber durchführen lassen und beantragte bei dem zuständigen AG, ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Standardimpfungen zu übertragen. § 1628 Satz 1 BGB (→ Sorgerecht und Impfpflicht).
Kindeswohl entscheidet
Nachdem das AG dem Antrag der Mutter entsprochen hatte, legte der Vater hiergegen Beschwerde beim OLG ein. Das OLG stellte zunächst klar, dass die Durchführung von Schutzimpfungen für die Gesundheit eines Kindes von erheblicher Bedeutung ist und somit der Antrag der Mutter auf alleinige Entscheidungsbefugnis grundsätzlich zulässig war. Gemäß § 1628 BGB sei die Entscheidungskompetenz im Fall der Uneinigkeit auf den Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
STIKO-Empfehlungen entsprechen dem Kindeswohl
Bei der Ermittlung dessen, was dem Kindeswohl am besten entspricht, ist nach der Entscheidung des OLG das für das Kindeswohl bessere Konzept entscheidend. In Fragen des Gesundheitsschutzes sei darauf abzustellen, was nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der Medizin der Förderung des Kindeswohls am ehesten dient. Hinsichtlich der Verabreichung von Standardimpfungen kann nach Auffassung des Senats grundsätzlich auf die Empfehlungen der STIKO abgestellt werden. Diese Empfehlungen spiegelten den aktuell anerkannten Stand der medizinischen Forschung wieder.
Im Ergebnis ist nach der Bewertung des OLG davon auszugehen, dass die an den Empfehlungen des STIKO orientierte Entscheidung der Kindesmutter das für das Kindeswohl bessere Konzept darstellt. Zwar könne auch bei Standardimpfungen ein - wenn auch geringes - gesundheitliches Restrisiko für unerwünschte gesundheitliche Reaktionen nicht ausgeschlossen werden. Die Vorbehalte des Kindesvaters seien deshalb nicht völlig abwegig. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entspreche die Entscheidung der Kindesmutter zugunsten der Standardimpfungen auch unter Abwägung dieser Risiken angesichts deren äußerst seltenen Verwirklichung dem Kindeswohl aber besser als die Verweigerungshaltung des Vaters.
Beweisantrag des Vaters einen Sachverständigen zu bestellen wurde abgelehnt
Den Antrag des Kindesvaters, gerichtlich ein Sachverständigengutachten über die Impffähigkeit des Kindes einzuholen, wies der Senat zurück. Das OLG wies darauf hin, dass die Empfehlungen der STIKO eine individuelle Prüfung der Impffähigkeit durch den behandelnden Arzt ohnehin vorsehen. Damit trügen die Empfehlungen der STIKO den Sorgen des Kindesvaters um das gesundheitliche Wohl des Kindes infolge möglicherweise bestehender Vorbelastungen oder Unverträglichkeiten bereits hinreichend Rechnung.
STIKO-Empfehlungen ersetzen Sachverständigengutachten
Die STIKO-Empfehlungen auch für die konkrete Vorgehensweise beim Impfvorgang durch im einzelnen dargestellte Handlungsvorschläge belegen nach Auffassung des Gerichts eine sorgfältige Prüfung und Vorgehensweise der STIKO. Aufgrund dieses hohen, wissenschaftlich begründeten Sorgfaltsmaßstabes kommt den Empfehlungen der STIKO nach Auffassung des Senats die „Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens“ zu. Die Einholung eines weiteren Gutachtens durch das Gericht sei im konkreten Fall nicht erforderlich.
Mit diesen Erwägungen wies das OLG die Beschwerde des Kindesvaters zurück.
(OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 8.3.2021, 6 UF3/21)
Anmerkung: Mitspracherecht des Kindes
Hat auch das Kind bei der Entscheidung "(Corona-)Impfung Ja oder Nein?" ein Mitbestimmungsrecht? Nach ständiger Rechtsprechung gibt es keine starre Altersgrenze, ab der ein Kind über einen medizinischen Eingriff entscheiden kann oder in ihn einwilligen muss. Einwilligungsfähigkeit wird aber allgemein ab dem 16. Lebensjahr zuerkannt. Ein Impfwunsch des nicht volljährigen Kindes gegen den Willen beider Sorgeberechtigter ist aber wohl kaum durchsetzbar.
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Hintergrund: Sorgerecht und medizinische Eingriffe
In welchem Umfang muss der Behandler überprüfen, ob die Sorgeberechtigten beide mit einer medizinischen Behandlung einverstanden sind? Grundsätzlich bedarf der behandelnde Arzt der Zustimmung beider sorgeberechtigten Eltern. Allerdings darf der Arzt in der Regel davon ausgehen, dass ein anwesender Elternteil von dem abwesenden Elternteil zur Einwilligung ermächtigt wurde. Nach der Schwere des geplanten Eingriffs und differenziert die Überprüfungspflicht des Arztes nach drei Intensitätsstufen des geplanten Eingriffs:
1. Stufe: In medizinischen Routinefällen darf der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass der erschienene Elternteil vom anderen Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung des Kindes zu erteilen.
2. Stufe: Bei ärztlichen Eingriffen schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken muss der Arzt sich vergewissern, ob der erschienene Elternteil von dem anderen Elternteil ermächtigt ist. Solange keine konkreten Anhaltspunkte entgegenstehen, darf der Arzt allerdings auf die Angabe des erschienenen Elternteils vertrauen, auch im Namen des nicht Erschienenen die Einwilligung abgeben zu dürfen.
3. Stufe: Lediglich bei besonders schwierigen und weitreichenden Entscheidungen, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, wie zum Beispiel im Fall einer Herzoperation, liegt es nach Auffassung des BGH nicht von vornherein nahe, dass der nicht erschienene Elternteil mit einem solchen Eingriff einverstanden ist. In einem solchen Fall muss der Arzt sich Gewissheit verschaffen, dass auch der nicht erschienene Elternteil mit der vorgesehenen Behandlung des Kindes einverstanden sei (BGH, Urteil v. 15.6.2010, VI ZR 204/09).
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