Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Zustimmung zu Impfungen gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung einer Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und mangels entgegenstehender besonderer Impfrisiken beim Kind auf denjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung befürwortet (im Anschluss an OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. August 2021 - 6 UF 120/21; OLG München, Beschluss vom 18.10.2021 - 26 UF 928/21).
2. Der Übertragung der Entscheidungsbefugnis im Wege der einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass mit der Durchführung der Impfungen die Hauptsache vorweggenommen wird, soweit ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden notwendig ist. Dies ist grundsätzlich im Hinblick auf die sog. vierte Infektionswelle zu bejahen. Allerdings ist unabhängig von der Frage des Bestehens einer Impfempfehlung für eine eventuelle spätere Auffrischungsimpfung (sog. Booster-Impfung) das Eilbedürfnis zu verneinen (in Abgrenzung zu OLG München, Beschluss vom 18.10.2021 - 26 UF 928/21).
Tenor
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird dem Antragsteller (Kindesvater) die Entscheidung über die Zustimmung
1. zur Testung in der Schule mit einem Selbsttest für H., geboren am XX.XX.2005, gegenüber dem Gymnasium ... und für M., geboren am XX.XX.2007, gegenüber dem Gymnasium ... mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 im Rahmen der 4. Schul-Corona-Verordnung sowie den darauffolgenden zukünftigen Verordnungen und
2. zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für die minderjährigen Kinder H., geboren am XX.XX.2005, und M., geboren am XX.XX.2007, mit dem zugelassenen mRNA-Impfstoff Comirnaty entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission bei dem Robert Koch-Institut für die erste und zweite Impfung vorläufig übertragen.
Der weitergehende Antrag des Antragstellers wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten in beiden Instanzen tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller (Kindesvater) und die Antragsgegnerin (Kindesmutter) sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind die beiden minderjährigen Kinder H. (geboren am XX.XX.2005) und M. (geboren am XX.XX.2007) hervorgegangen. Die beiden Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt beim Kindesvater. Das Sorgerecht für die beiden Kinder üben die Eltern weiterhin gemeinsam aus.
Die Kindeseltern streiten über die Entscheidungsbefugnis für die - vom Kindesvater befürwortete - Zustimmung zur Durchführung von Selbsttests für beide Kinder an den von ihnen besuchten Schulen mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 und für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung der beiden Kinder gegen das Corona Virus SARS-CoV-2. Die Kindesmutter hat ihre Zustimmung zur Durchführung der Selbsttests auf sogenannte Spucktests beschränkt, die von den Schulen der Kinder nicht zur Verfügung gestellt werden. Daher hat die für die Teilnahme der Kinder am Präsenzunterricht bisher nach § 1a Abs. 1 Satz 1 der 3. SchulCoronaVO M-V und seit dem 01.12.2021 nach § 1a Abs. 1 Satz 1 der 4. SchulCoronaVO M-V erforderliche Testung der beiden Kinder nicht nach § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der 3. bzw. 4. SchulCoronaVO M-V in der Schule mit von den Schulen kostenfrei zur Verfügung gestellten Tests stattfinden können; die Testungen sind bisher nach § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 der 3. bzw. 4. SchulCoronaVO M-V in der Häuslichkeit des Kindesvaters auf dessen Kosten durchgeführt worden. Die Kindesmutter ist bisher auch nicht bereit gewesen, einer Impfung ihrer beiden Kinder zuzustimmen.
Mit Schriftsatz vom 20.10.2021 hat der Kindesvater beantragt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung (1.) für die Zustimmung zur Testung in der Schule mit einem Selbsttest für H. gegenüber dem Gymnasium ... und für M. gegenüber dem Gymnasium ... mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 im Rahmen der 3. Schul-Corona-Verordnung sowie den darauffolgenden zukünftigen Verordnungen und (2.) für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für H. und M. vorläufig zu übertragen. Die Kindesmutter hat beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Mit Beschluss vom 02.11.2021 hat das Amtsgericht - nach Anhörung der beteiligten Kinder, ihrer Eltern und des Jugendamtes, aber ohne den Kindern einen Verfahrensbeistand zu bestellen - im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung über die Zustimmung (1.) zur Testung in der Schule und (2.) "zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2" für die minderjährigen Kinder H. und M. "mit einem der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty oder Spikevax) entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut" vorläufig auf den Antragsteller übertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass angesicht...