Leitsatz (amtlich)

1. Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 10 Abs. 1 und 2 FEVG ist nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Haftanordnung. Deshalb kommt eine Zurückweisung des Haftantrags nicht in Betracht.

2. Gegenstand des Aufhebungsverfahrens ist die Prüfung, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung und Fortsetzung der bisher vollzogenen Haft weiterhin bestehen.

3. Die Aufhebung kann sowohl auf eine unveränderte Sachlage als auch auf neue Tatsachen gestützt werden.

 

Normenkette

FEVG § 10

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Beschluss vom 24.03.2005; Aktenzeichen 7 T 152/05)

AG Gießen (Aktenzeichen 58-XIV 5/05)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Prüfung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

Durch Beschl. v. 25.1.2005 ordnete das AG gegen den Betroffenen für die Dauer bis 25.4.2005 Abschiebungshaft an. Es ging davon aus, dass die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 5 AufenthG vorliegen.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 24.2.2005 beantragte der Betroffene, die Haftanordnung aufzuheben. Zur Begründung wies er darauf hin, dass ein Haftgrund nicht vorliege. Er habe sich vorschriftsmäßig an seiner Adresse - aufgehalten und nicht von Amts wegen abgemeldet werden dürfen.

Durch Beschl. v. 14.3.2005 wies das AG den Antrag des Betroffenen vom 24.2.2005 mit der Begründung zurück, es sei zu einer Änderung der Entscheidung gem. § 18 Abs. 2 FGG, 3 S. 2 FEVG nicht befugt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LG im wesentlichen ausgeführt:

"Das AG hat den Antrag des Betroffenen auf Aufhebung des Abschiebungshaftbeschlusses i.E. zu Rechts zurückgewiesen. Zwar hat sich das AG nicht zur Aufhebung berechtigt geglaubt, obwohl ihm eine Aufhebung nach § 10 FEVG grundsätzlich möglich ist. Nach § 10 Abs. 1 FEVG ist eine Entscheidung, durch die eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, vor Ablauf der nach § 9 Abs. 1 FEVG festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Solche Gründe können sein das Entfallen der Möglichkeit der Durchführung der Abschiebung, wenn sich die Abschiebung nunmehr als undurchführbar erweist oder ein beachtlicher Asylantrag gestellt wird. Die Regelung bedeutet eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 18 Abs. 2 FGG, der dem Gericht sonst die Befugnis zur Änderung seiner Verfügung abspricht, soweit sie der sofortigen Beschwerde unterliegen.

Ein solcher Aufhebungsgrund liegt jedoch nicht vor und wurde von dem Betroffenen auch nicht vorgetragen. Vielmehr beruft sich der Betroffene darauf, dass von Anfang an ein Haftgrund nicht vorgelegen habe. Dieser Gesichtspunkt kann im Aufhebungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Denn das AG hat den Haftgrund geprüft und bejaht. Über die Begründetheit des Haftantrages hätte im weiteren Verfahren allein entschieden werden können, wenn der Betroffene von dem Rechtsmittel gegen die Haftanordnung Gebrauch gemacht hätte, was jedoch nicht geschehen ist. Gegenstand der Entscheidung nach § 10 Abs. 1 FEVG ist allein die Frage, ob die ursprüngliche Entscheidung, über deren Rechtsmäßigkeit nicht gestritten wird, für die Zukunft aufrechterhalten bleiben kann oder wegen einer Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse aufzuheben ist (KG OLGZ 1977, 161 ff.). Damit bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine Abänderung einer Entscheidung, die der sofortigen Beschwerde unterliegt, nach § 18 Abs. 1, 2 FGG ausgeschlossen ist, auch nach dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 18 Rz. 13, m.w.N.)."

Die mit Schriftsatz vom 29.3.2005 gegen die landgerichtliche Entscheidung eingelegte, am selben Tag beim LG eingegangene sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

Zutreffend ist das LG zunächst davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Haftanordnung nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 10 Abs. 1 und 2 FEVG ist und dass deshalb in diesem Verfahren eine Zurückweisung des Haftantrags nicht in Frage kommt. Insoweit beruft sich das LG zu Recht auf den Beschluss des KG vom 10.12.1976 in der Sache 1 W XX B 3920/76 (KG, Beschl. v. 10.12.1976 - 1 W XX B 3920/76, OLGZ 1977, 161 ff.).

Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob die Anordnung der Freiheitsentziehung für die Zukunft weiter aufrechtzuerhalten ist; denn Gegenstand des Aufhebungsverfahrens ist die Prüfung, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung und Fortsetzung der bisher vollzogenen Sicherungshaft weiterhin bestehen (BayObLG, Beschl. v. 3.8.2004 - 4Z BR 32/04, dokumentiert bei Melchior). Weil Entscheidungen in Freiheitsentziehungssachen zwar der formellen, nicht aber der materiellen Rechtskraft fähig sind, bedeutet dies zugleich, dass die Aufhebung sowohl auf eine unveränderte Sachlage als ...

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