Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit des Zuschlagskriteriums "niedrigster Preis"
Leitsatz (amtlich)
Eine Vergabeentscheidung auf Basis des alleinigen Zuschlagskriteriums "niedrigster Preis" ist zulässig; dies folgt jedenfalls aus einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinienbestimmung Art. 53 Abs. 1 lit. b 2004/18/EG.
Normenkette
GWB § 97 Abs. 5, 7; EGRL 18/2004 Art. 53 Abs. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
Vergabekammer des Landes Hessen (Beschluss vom 03.02.2012; Aktenzeichen 69d VK 48/11) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 3.2.2012 - 69d VK - 48/2011 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Eilverfahrens einschließlich der zur notwendigen Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu tragen.
Der Geschäftswert wird auf EUR 386.260 festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten darüber, ob der von der Antragsgegnerin ausgeschriebene Dienstleistungsauftrag im Bereich der Rechnungslegung und -prüfung allein auf Basis des niedrigsten Preises als Zuschlagskriterium vergeben werden darf.
Die Antragsgegnerin, eine ... kasse, hatte zunächst im Februar 2011 einen Dienstleistungsauftrag der Rechnungslegung und -prüfung im Offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Es bewarben sich u.a. die Antragstellerin und die Beigeladene. Zuschlagskriterien waren der Preis mit einer Gewichtung von 60 % und die Qualität mit einer Gewichtung von 40 % (GA 58). Nach Verfahrensrügen der Beigeladenen wurde dieses Ausschreibungsverfahren - in welchem der Zuschlag der Antragstellerin erteilt werden sollte - aufgehoben.
Im Mai 2011 schrieb die Antragsgegnerin den genannten Dienstleistungsauftrag erneut aus. Die Auftragsbedingungen, insbesondere Inhalt und Umfang der Leistungspflichten (umschrieben im Rahmenvertrag nebst Anlagen und Anhängen, GA 130), blieben gleich. Bestandteil war u.a., dass die Leistungserbringung mittels einer von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Software (Betriebssystem "...", GA 131) zu erfolgen hat. Als alleiniges Zuschlagskriterium nannte die Antragsgegnerin nunmehr "niedrigster Preis" (GA 65). Es bewarben sich wiederum u.a. die Antragstellerin und die Beigeladene. Das Angebot der Beigeladenen war preislich das Niedrigste. Die Antragsgegnerin teilte daraufhin der Antragstellerin mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen (VK 47). Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 25.11.2011 das Zuschlagskriterium "niedrigster Preis". Dieser Rüge half die Antragsgegnerin nicht ab.
Die Antragstellerin stellte daraufhin am 2.12.2011 einen Nachprüfungsantrag und rügte insbesondere die Wahl des günstigsten Preises als alleiniges Zuschlagskriterium (VK 76 ff.); soweit sie weitere Rügen in dem Schreiben erhoben hatte, hält sie diese im Beschwerdeverfahren nicht aufrecht (GA 9).
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen (GA 42); hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit welcher sie die Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer und des Vergabeverfahrens sowie eine Neuausschreibung weiterverfolgt.
Zur Begründung trägt sie Folgendes vor: Ihr Nachprüfungsantrag sei zulässig, insbesondere habe sie rechtzeitig die Zulässigkeit des Zuschlagskriteriums "niedrigster Preis" gerügt. Für sie sei nicht bereits mit Zugang der Vergabeunterlagen der Verstoß gegen § 97 Abs. 5 GWB erkennbar i.S.d. § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB gewesen, da Erkennbarkeit in diesem Sinne voraussetze, dass nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht der Verstoß deutlich werde. Die Regelwidrigkeit des alleinigen Zuschlagskriteriums "niedrigster Preis" sei hier jedoch erst nach rechtlicher Beratung für die Antragstellerin erkennbar gewesen.
Sie sei auch antragsbefugt gem. § 107 Abs. 2 GWB, da sie ein Interesse am Erhalt des streitigen Auftrags habe. § 97 Abs. 5 GWB habe hinsichtlich der Rüge des hier gewählten alleinigen Zuschlagskriteriums "niedrigster Preis" bieterschützenden Charakter gem. § 97 Abs. 7 GWB. Die Vorschriften über die Wahl der Zuschlagskriterien dienten dem Schutz des Bieters vor Willkür bei der Vergabeentscheidung. Zu Unrecht lege die Vergabekammer der Norm des § 97 Abs. 5 GWB allein haushaltsrechtliche Zwecke zugrunde.
Der Nachprüfungsantrag sei begründet. Die Antragsgegnerin habe gegen die Pflicht, öffentliche Aufträge innerhalb eines vergaberechtskonformen Verfahrens zu vergeben, verstoßen, indem sie für den hier streitigen Dienstleistungsauftrag entgegen § 97 Abs. 5 GWB den niedrigsten Preis als alleiniges Zuschlagskriterium benannt habe. Die Vorschrift des § 97 Abs. 5 GWB sei vor dem Hintergrund der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (i. F.: VKR), hier Art. 53 Abs. 1, auszulegen. Die Bundesrepublik Deutschland habe Art. 53 Abs. 1 VKR dahingehend umgesetzt, dass sie sich allein für eine Regel...