Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung: Sorgfaltspflichten bei Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches
Leitsatz (amtlich)
Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle bei der Versendung eines fristwahrenden Schriftsatzes über beA gehört neben der Überprüfung eines ordnungsgemäßen Versands auch die Sicherstellung, dass der richtige Schriftsatz versendet wird.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, §§ 130a, 233
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.04.2021; Aktenzeichen 2-6 O 479/19) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 21.4.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main wird unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen.
Gründe
I. Die Parteien streiten mit Klage und Widerklage um Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit der Nennung der Beklagten auf der Internetseite der Klägerin, die Beratungsdienstleistungen als "Profilerin" erbringt. Mit Urteil vom 21.4.2021 (Bl. 396 ff. d.A.) hat das Landgericht die Klägerin verurteilt, es zu unterlassen, werblich auf die Beklagte hinzuweisen. Gegen das der Klägerin am 27.4.2021 (Bl. 410 d.A.) zugestellte Urteil hat der Klägervertreter mit bei Gericht am 5.5.2021 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 414 f. d.A.) Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsschrift (Bl. 460 - 470 d.A) nebst einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Bl. 471 - 474 d.A.) ist am 31.8.2021 bei Gericht eingegangen.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Klägervertreter vorgetragen, er habe am 25.6.2021 eine beA-Nachricht an das Gericht versandt. Dieser Nachricht habe er eine Datei angehängt, bei der er davon ausgegangen sei, dass es sich um die Berufungsbegründungsschrift in hiesiger Angelegenheit handelt. Statt der Berufungsbegründungschrift habe es sich jedoch erneut um den Schriftsatz gehandelt, mit welchem bereits Berufung eingelegt worden sei. Zu dieser Verwechselung sei es gekommen, weil seine zuverlässige Sekretärin es versäumt habe, ihm den richtigen Namen der als PDF-Dokument erstellten Berufungsbegründungsschrift mitzuteilen.
II. 1. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO begründet wurde.
Das erstinstanzliche Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 27.4.2021 (Bl. 410 d.A.) zugestellt worden. Da es sich bei dem 27.6.2021 um einen Sonntag gehandelt hat (§ 193 BGB), endete die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 28.6.2021. Die Berufungsbegründungsschrift ging jedoch erst verspätet am 31.8.2021 bei Gericht ein.
2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die - im Übrigen nicht glaubhaft gemachten (§ 236 Abs. 2 S. 1, 294 ZPO) - Gründe in der Antragsschrift sind nicht geeignet, ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten auszuräumen.
Hinsichtlich des nach § 85 Abs. 2 ZPO und § 278 BGB zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens ist die übliche, also berufsbedingte strenge Sorgfalt vorauszusetzen, so dass insoweit regelmäßig eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt vermeidbar gewesen war (vgl. MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO, § 233 Rn. 32). So liegt es auch hier.
Im Zusammenhang mit der Fristenüberwachung muss der Rechtsanwalt für eine wirksame Ausgangskontrolle sorgen, damit fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig auf den Weg gebracht werden. Bei Übermittlung von Schriftsätzen an ein elektronisches Gerichtspostfach gelten grundsätzlich die gleichen Grundsätze der Ausgangskontrolle. Elektronische Systeme dürfen keine geringeren Kontrollstandards bieten. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört neben der Überprüfung eines ordnungsgemäßen Versands aber auch die Sicherstellung, dass der richtige Schriftsatz versendet wird. Der Ausgangskontrolle ist nicht genüge getan, wenn lediglich überprüft wird, dass irgendein Schriftstück mit dem zutreffenden Aktenzeichen an das Gericht versendet wird. Es ist vielmehr - ggf. an Hand eines sinnvoll vergebenen Dateinamens - zu überprüfen, welche Datei versandt wurde. Erst danach darf die Frist im Kalender gestrichen werden (vgl. Musielak/Voit/Grandel, 18. Aufl. 2021, ZPO, § 233 Rn. 24 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und unter Berücksichtigung des eigenen Vortrags des Prozessbevollmächtigten der Klägerin kann es nicht zweifelhaft sein, dass diesen an der Fristversäumung ein Verschulden trifft.
Denn er hat hiernach eine PDF-Datei an das Gericht versandt, ohne den Inhalt des Schriftsatzes zu überprüfen und damit sicherzustellen, dass der inhaltlich zutreffende Schriftsatz zur Fristwahrung bei Gericht eingeht. Eine inhaltliche Kontrolle drängte sich nach dem Vorbringen des Klägervertreters bereits deswegen auf, weil der vom Klägervertreter beschriebene Dateiname "Berufung.pdf" weder Rückschlüsse auf deren Inhalt (Berufungseinlegung oder Ber...