Leitsatz (amtlich)
Ungeachtet des § 65 Abs. 4 FamFG ist das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen.
Für den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es auf Dauer, Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe:für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat an, wobei die Intention der Eltern, sich dauerhaft dort niederzulassen, zu berücksichtigen sein kann.
Ein Vorrang der EuEheVO gegenüber dem KSÜ besteht nur, wenn das betreffende Kind im Zeitpunkt der Sachentscheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, so dass nach einem Aufenthaltswechsel aus einem Mitgliedstaat der EuEheVO in einen Nichtmitgliedstaat, der aber Mitglied im KSÜ ist, keine Fortwirkung der Zuständigkeit (perpetuatio fori) in Betracht kommt.
Normenkette
EuEheVO § 8 Abs. 1, § 61 lit. a; FamFG § 65 Abs. 4; KSÜ § 5 Abs. 2, § 7
Verfahrensgang
AG Bad Homburg (Aktenzeichen 94 F 363/19) |
Tenor
Auf die Beschwerde vom 08.07.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Homburg vom 31.05.2019 aufgehoben und das Umgangsverfahren wird aufgrund fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte eingestellt.
Gerichtskosten für das Verfahren der ersten und zweiten Instanz werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Kindesmutter und der Kindesvater haben am 17.01.2019 eine Vereinbarung dahingehend geschlossen, dass die Kindesmutter mit dem Kind in die Schweiz umziehen kann. Der Umzug ist dann auch tatsächlich erfolgt und ihr Kind besucht seit dem 01.03.2019 eine Schule in Genf.
Das vorliegende Umgangsverfahren wurde am 01.04.2019 vom Kindesvater angeregt und in der Folge hat das Amtsgericht ein Umgangsverfahren eingeleitet.
Das Amtsgericht hat nach Erörterung mit dem angefochtenen Beschluss seine internationale Zuständigkeit bejaht mit der Erwägung, dass der Aufenthalt des Kindes in der Schweiz noch nicht hinreichend gefestigt sei und dann eine ausführliche Umgangsregelung getroffen, auf die Bezug genommen wird.
Mit ihrer Beschwerde macht die Kindesmutter (unter anderem) weiter die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte geltend.
Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 14.10.2019 darauf hingewiesen, dass die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte vorliegend nicht gegeben und daher der angefochtene Beschluss aufzuheben sei.
II. Auf die statthafte Beschwerde, §§ 58 ff. FamFG, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Umgangsverfahren einzustellen, weil die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht (mehr) gegeben ist.
Im Einzelnen:
Auch wenn nach § 65 Abs. 4 FamFG eine Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine (örtliche) Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, ist das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH FamRZ 2015, 2147; BGHZ 184, 269 = NJW 2010, 1351).
Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung einschließlich des Umgangsrechts, Art. 1 Abs. 2 lit. a EUEheVO, betreffen, an sich die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Für den autonom auszulegenden Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es zum einen auf Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe:für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat an (EuGH FamRZ 2009, 843; EuGH, Urteil vom 22.12.2010, C-497/10 PPU, juris). Dabei kann die Intention der Eltern, sich dauerhaft in einem Staat niederzulassen, auch zu berücksichtigen sein (EuGH FamRZ 2009, 843, Rn. 40).
Hier haben die Kindeseltern mit der Vereinbarung am 17.01.2019, dass die Kindesmutter mit dem Kind in die Schweiz umziehen darf, die Intention bekundet, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ändern soll. Mit der Umsetzung dieser Vereinbarung und dem Besuch der Schule in G ab dem 01.03.2019 wurde diese Intention auch praktisch umgesetzt, so dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens am 01.04.2019 bereits in der Schweiz war und damit deutsche Gerichte zu diesem Zeitpu...