Leitsatz (amtlich)

Der wegen Anscheins der Befangenheit erfolgreich abgelehnte Sachverständige verliert seinen Honorierungsanspruch nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung der Unverwertbarkeit seines Gutachtens. Dies erfordert die Wahrung der inneren Unabhängigkeit des Sachverständigen als Gehilfe des Richters. Grobe Fahrlässigkeit setzt außer objektiver Sorgfaltsverletzung auch ein schweres subjektiv zurechenbares Verschulden voraus; hierbei ist die Individualität des Sachverständigen zu berücksichtigen.

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Beschluss vom 18.12.2003; Aktenzeichen 9 O 2073/02)

 

Tenor

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die Beschwerde der Vertreterin der Staatskasse ist nach § 16 Abs. 2 ZuSEG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet, da das LG zu Recht die von der Bezirksrevisorin begehrte Feststellung abgelehnt hat, dass dem Sachverständigen SV1 für seine gesamte Gutachtertätigkeit in diesem Verfahren kein Entschädigungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht. Denn der Sachverständige hat die Gründe, die zu seiner Ablehnung geführt haben, zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig herbeigeführt.

Das Gesetz enthält keine Regelung der Frage, ob und ggf. unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen ein gerichtlich bestellter Sachverständiger den Anspruch auf die ihm grundsätzlich nach §§ 413 ZPO, 3 ZuSEG für seine Leistung zustehende Entschädigung verliert, wenn er durch sein Verhalten verursacht, dass sein Gutachten im Verfahren unverwertbar wird - wie etwa im Falle einer erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit. Die zivilrechtlichen Bestimmungen über den Dienst- und Werkvertrag können nach der überzeugend begründeten Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGH NJW 1976, 1154) nicht angewendet werden, da sie nicht auf den Fall zugeschnitten sind, dass die Leistungen - wie jene des gerichtlich bestellten Sachverständigen - in Erfüllung staatsbürgerlicher bzw. öffentlich-rechtlicher Pflichten erbracht werden. Diesen Pflichten können sich Sachverständige, die zur Erstattung von Gutachten gerichtlich aufgefordert werden, grundsätzlich nicht entziehen (§ 407 ZPO). Die Sachverständigen können sich die Personen, über deren Leistungen sie Gutachten zu erstatten haben, auch nicht aussuchen. Sie erhalten grundsätzlich auch keine - frei ausgehandelte - dienst- oder werkvertragliche Vergütung, sondern die nach dem ZuSEG limitierte Entschädigung.

Der Senat folgt daher dem BGH (BGH NJW 1976, 1154) und der seit Jahrzehnten ganz h.M., welche die Frage des Entfallens des Entschädigungsanspruches des Sachverständigen bei selbstverursachter Unverwertbarkeit seines Gutachtens aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen herleitet, die dem Verhältnis des Sachverständigen zum Gericht und den Belangen einer geordneten Rechtspflege gebührend Rechnung tragen. Auch in öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen gilt der Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser Grundsatz wird im besonderen durch widersprüchliches Verhalten verletzt. Es ist aber widersprüchlich, wenn der Sachverständige für eine Leistung Honorierung verlangt, die Leistung aber selbst unbrauchbar macht. Das gilt jedenfalls bei vorsätzlicher Herbeiführung der Unverwertbarkeit des Gutachtens durch den Sachverständigen. Andererseits wäre es unbillig (und verstieße wiederum gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Verhältnis zwischen dem Sachverständigen und dem Gericht), wenn insoweit allein an die objektive Verursachung der Unbrauchbarkeit angeknüpft würde, der Sachverständige also seinen Entschädigungsanspruch auch dann verlöre, wenn er die Unbrauchbarkeit des Gutachtens wegen erfolgreicher Ablehnung infolge Befangenheit nicht verschuldet hätte.

Innerhalb der Grenzen einerseits vorsätzlicher Verursachung der Unverwertbarkeit des Gutachtens - bei der die Sachverständigenentschädigung jedenfalls entfällt - und andererseits ihrer schuldlosen Verursachung - durch welche der Entschädigungsanspruch des Sachverständigen nicht tangiert wird - nimmt die h.M. seit Jahrzehnten an, dass es zu der Stellung des Sachverständigen im Verfahrensgefüge des Zivilprozesses nicht passt, ihm die Entschädigung bereits bei (leicht) fahrlässigem Herbeiführen der Unverwertbarkeit seines Gutachtens zu nehmen. Würde insoweit nämlich bereits jedes Verschulden im Sinne der Fahrlässigkeit genügen, so würde dies die notwendige innere Unabhängigkeit der Sachverständigen einschränken. Der gerichtlich bestellte Sachverständige ist Gehilfe der Richter bei der Urteilsfindung; sein Beitrag hierzu ist wegen seiner besonderen Sachkunde häufig von wesentlichem Einfluss; dieser - vom Sachverständigen neutral und in einer nur seinem Wissen und Gewissen verpflichteten Weise wahrzunehmenden - Funktion für eine geordnete und erfolgreiche Rechtspflege kann nur ein innerlich unabhängiger Sachverständiger genügen (BGH NJW 1976, 1154 ...

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