Entscheidungsstichwort (Thema)

Befugnis des Zivilbeschwerdegerichts zur Entscheidung über die Begründetheit eines Ablehnungsgesuchs bei unzulässiger Selbstentscheidung durch Ausgangsgericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Ablehnungsgesuch (§ 42 ZPO) darf der Zivilrichter selbst dann nicht unter eigener Mitwirkung als unzulässig verwerfen, wenn er den Inhalt als verunglimpfend empfindet, sofern dem Gesuch ein sachlicher Kern zugrunde liegt, der ein inhaltliches Eingehen auf die Sache erfordert; auf die Erfolgsaussicht des Gesuchs kommt es dabei nicht an.

2. Hat das Ausgangsgericht das Ablehnungsgesuch zu Unrecht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters verworfen und damit einen Verstoß gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) begangen, ist das Zivilbeschwerdegericht nicht zwingend gehalten, die Ablehnungssache zur Entscheidung über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen; es kann als Tatsachengericht 2. Instanz im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens selbst über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs entscheiden.

3. Hat ein abgelehnter Richter unter Verkennung der Grenzen der Selbstentscheidungsbefugnis und des mit dem Ablehnungsgesuch geltend gemachten sachlichen Kerns von Befangenheitsgründen an der Verwerfung des gegen ihn gerichteteten Ablehnungsgesuchs als unzulässig mitgewirkt, ist dies geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit ihm gegenüber zu begründen.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 42, 45-47

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.05.2010)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 20.5.2010 abgeändert.

Die Ablehnung der Richterin am LG Ri1 durch den Kläger wird für begründet erklärt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf 150.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ein gegen die Richterin am LG Ri1 gerichtetes Ablehnungsgesuch des Klägers.

Im Ausgangsrechtsstreit nimmt der (Kläger) (den Beklagten) aus Amtshaftung mit Zahlungs-, Feststellungs- und Auskunftsanträgen auf Schadensersatz in Anspruch. Dem liegt zugrunde, dass in drei von mehreren Verfahren in eigener Sache des Klägers vor dem LG. im Jahre 2003 - jeweils nach vorheriger mündlicher Verhandlung in der Sache - Beschlüsse ergingen, wonach seine Prozessfähigkeit durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens geklärt werden sollte. Das daraufhin eingeholte Gutachten kam zu dem Ergebnis, der Kläger sei uneingeschränkt prozessfähig. Der Kläger macht geltend, er sei vor der Anordnung der Begutachtung unter Verstoß gegen Verfassungsrecht nicht ordnungsgemäß angehört worden, dadurch seien ihm Nachteile materieller und immaterieller Art entstanden. Über diese Klage verhandelte das LG mündlich am ... 2008 in der Besetzung mit Richterin am LG Ri2 als Vorsitzender, Richterin am LG Ri3 als Berichterstatterin und der abgelehnten Richterin; der Vorsitzende der Kammer war nicht Mitglied der Richterbank, da er in einem der Verfahren die Begutachtung angeordnet hatte und deshalb seine Selbstablehnung als begründet angesehen worden war. Verkündungstermin wurde bestimmt auf den ... 2009. Zum Jahresende 2008 schieden Richterin am LG Ri2 und Richterin am LG Ri3 aus der Kammer aus, Richterin am LG Ri1 wurde zur stellvertretenden Vorsitzenden bestellt.

Am ... 2009 wurde ein die Klage abweisendes Urteil verkündet. Das Verkündungsprotokoll enthält die gedruckte Angabe, im Termin gegenwärtig sei - ohne Hinzuziehung eines Protokollführers - Richterin am LG Ri3; unterzeichnet ist das Protokoll von Richterin am LG Ri1.

Der Kläger macht diese Widersprüchlichkeit des Protokolls mit seiner beim beschließenden Senat anhängigen Berufung - Az. 1 U 32/09 - geltend.

Auf den Hinweis des Senats auf diese Widersprüchlichkeit an Richterin am LG Ri1 vom 21.4.2010 teilte diese mit Verfügung vom 22.4.2010 den Prozessparteien mit, sie beabsichtige, eine Berichtigung des Verkündungsprotokolls dahingehend vorzunehmen, dass sie - welche das Protokoll unterschrieben hat - im Verkündungstermin anwesend war und nicht die im Kopf des Protokolls bezeichnete Richterin am LG Ri3.

Daraufhin hat der Kläger Richterin am LG Ri1 mit Schriftsatz vom 15.5.2010 (Bd. II A Bl. 4 - 35 d.A.) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Erhoben werden insbesondere Vorwürfe gegen die Amtsführung der Richterin im Zeitraum vor dem ... 2009, die inzwischen zur stellvertretenden Vorsitzenden befördert worden und Vorsitzende des Richterrats geworden sei. Außerdem sei es unter Zugrundelegung bestimmter Gegebenheiten ausgeschlossen, dass nicht Richterin am LG Ri3 das Urteil verkündet habe. Ferner hält der Kläger der Richterin vor, das Urteil vom ... 2009 habe "seine verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte grob fehlerhaft und schwerwiegend vernachlässigt", indem bestimmte Rechtsprechung des BGH und des BVerfG zu den Anhörungsnotwendigkeiten für den Betroffenen vor Beauft...

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