Leitsatz (amtlich)
1. Art. 76 EuErbVO steht der Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses für einen Nachlassinsolvenzverwalter nicht entgegen.
2. Der Nachlassinsolvenzverwalter ist Antragsberechtigter im Sinne des Art. 63 EuErbVO.
Tenor
Auf die befristete Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 27.07.2020 abgeändert und dem Antrag des Beteiligten zu 1) vom 02.04.2020 auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses stattgegeben.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, das beantragte Europäische Nachlasszeugnis zu erteilen.
Die Wirksamkeit des Beschlusses wird bis zur Rechtskraft der Entscheidung ausgesetzt.
Der Beteiligte zu 1) hat die gerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen. Gerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1) ist der vorläufige Insolvenzverwalter, der Beteiligte zu 2) der Nachlasspfleger hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers.
Der Erblasser war verheiratet und kinderlos. Die Ehefrau, die von dem Erblasser getrennt lebte, hatte die Erbschaft ausgeschlagen. Der Beteiligte zu 2) wurde mit Beschluss vom 20.03.2019 zum Nachlasspfleger bestellt (Bl. 7 d.A.). Nach den Feststellungen des Beteiligten zu 2) ist der Nachlass nach Auszahlung seiner Vergütung voraussichtlich aufgezehrt (Bl. 15 d.A.). Eine Auskunft über Bankkonten des Erblassers bei einer kroatischen Bank hat diese für den Fall des Nachweises der Befugnis in Aussicht gestellt (Bl. 13 d.A.).
Der Beteiligte zu 2) beantragte am 03.08.2019 bei dem Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass des Erblassers (Bl. 23 d.A.). Der Beteiligte zu 1) wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 13.11.2019 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und ihm die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Erblassers übertragen (Bl. 46 d.A.).
Am 02.04.2020 beantragte der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, das seine Stellung als vorläufiger Nachlassinsolvenzverwalter bescheinigt (Bl. 32 ff d.A.). Er ist der Auffassung, da die Verfügungsbefugnis über den Nachlass durch die Anordnung der starken Verwaltung auf ihn übergegangen sei, lägen die Voraussetzungen für die Erteilung vor. Das Europäische Nachlasszeugnis sei als Legitimationsnachweis gegenüber der kroatischen Bank erforderlich, welche die Auskunft von einem entsprechenden Nachweis abhängig gemacht habe.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 27.07.2020 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein europäisches Nachlasszeugnis mit dem beantragten Inhalt sei in der EuErbVO nicht vorgesehen. Die Nachlassinsolvenz falle in den Regelungsbereich der EuInsVO und nicht unter die Regelungen der EuErbVO. Das Nachlassgericht könne kein Legitimationspapier für einen (vorläufigen) Insolvenzverwalter erteilen, den es weder einsetzen noch kontrollieren könne. Zudem sei die Antragsberechtigung in Art. 63 Abs. 1 i.V.m Art. 65 Abs. 1 EuErbVO abschließend geregelt und nicht auslegungsfähig.
Gegen diesen Beschluss, der dem Beteiligten zu 1) am 04.08.2020 zustellt worden ist, hat dieser mit bei dem Nachlassgericht am 19.08.2020 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 110 d.A.) Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, das Nachlassinsolvenzverfahren sei kein reines Insolvenzverfahren, sondern sei Kern der Beschränkung der Haftung des Erben auf den Nachlass. Es nehme daher eine zentrale Funktion im deutschen Erbrecht ein und sei in den Kanon der deutschen erbrechtlichen Vorschriften inkorporiert (§§ 1975 ff BGB). Dass die Nachlassinsolvenzverwaltung nicht vollständig im BGB sondern in der Insolvenzordnung geregelt sei, hätte historische Gründe. Mit Ausnahme von Österreich sei in allen Europäischen Ländern darüber hinaus das Verfahren der Erbenhaftungsbeschränkung abschließend im Erbrecht geregelt. Daher sei aus Sicht der übrigen Rechtsordnungen - hier der kroatischen - das deutsche Haftungsbeschränkungsverfahren erbrechtlicher Natur. Zweck des Art. 63 Abs. 2 lit. c) EuErbVO sei ausdrücklich, Klarheit darüber zu schaffen, wer "zur Verwaltung des Nachlasses" berechtigt sei. Nach Auffassung des Nachlassgerichts könne entweder dem Beteiligten zu 2) ein Nachlasszeugnis erteilt werden, obwohl dieser nicht mehr verwaltungs- und verfügungsbefugt über den Nachlass, sei oder gar kein Nachlasszeugnis. Beides könne nicht richtig sein. Eine Kontrollbefugnis sei nicht Voraussetzung für die Erteilung eines Nachlasszeugnisses, da eine solche etwa auch gegenüber Testamentsvollstreckern nicht bestehe. Schließlich sei Art. 63 EuErbVO auch auslegungsfähig. Der Nachlassinsolvenzverwalter könne als Nachlassverwalter im unionsrechtlichen Sinne verstanden werden. Dem Nachlasspfleger könne nach allgemeiner Auffassung ein Europäisches Nachlasszeugnis erteilt werden. Die Nachlassverwaltung sei nach der Legaldefinition in § 1975 BGB eine Unterform der ...