Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines Rechtsanwalts in Kindschaftssachen
Leitsatz (amtlich)
Bei Kindschaftssachen ist grundsätzlich wegen ihrer existentiellen Bedeutung die Beiordnung eines Anwalts erforderlich. Der verfassungsrechtlich gewährte Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gebietet die Beiordnung grundsätzlich auch im Amtsermittlungsverfahren, denn die Aufklärungs- und Beratungspflicht eines Anwalts geht über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus.
Normenkette
BGB § 1600; ZPO § 121 Abs. 2, § 640
Verfahrensgang
AG Wiesbaden (Beschluss vom 08.09.2006; Aktenzeichen 534 F 136/06) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Kläger wird im Rahmen der gewährten Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren Rechtsanwältin X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Das AG hat dem Kläger mit dem angefochtenen Beschluss Prozesskostenhilfe für seine Vaterschaftsanfechtungsklage bewilligt, die Beiordnung seiner Rechtsanwältin jedoch unter Hinweis auf § 121 Abs. 2 ZPO abgelehnt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, der das AG nicht abgeholfen hat.
Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Eine anwaltliche Vertretung des Klägers erscheint gem. § 121 Abs. 2 ZPO geboten. Dies ist bei Kindschaftssachen wegen ihrer existentiellen Bedeutung grundsätzlich anzunehmen (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl, § 121 Rz. 6 m.w.N.). Der Senat schließt sich damit der Rechtsprechung des 3. Senats für Familiensachen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.2.2006 - 3 WF 44/06, OLGReport Frankfurt 2006, 827) an, der zu Recht darauf abgestellt hat, dass einem Laien in der Regel nicht bekannt ist, welche Voraussetzungen vorliegen und eingehalten werden müssen, damit eine Vaterschaftsanfechtungsklage Aussicht auf Erfolg hat (ebenso OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, 241). Der Senat folgt insb. der weiteren Argumentation des 3. Senats, dass der verfassungs-rechtlich gewährte Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit die beantragte Beiordnung regelmäßig gebietet, weil auch im Amtsermittlungsverfahren die arme Partei nicht schlechter gestellt werden darf als eine, die in der Lage ist, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen (vgl. BVerfG v. 18.12.2001 - 1 BvR 391/01, FamRZ 2002, 531 f.; hinsichtlich der Zitatstelle liegt in 3 WF 44/06 nur ein Schreibversehen vor). Die unter Hinweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz allerdings nur für besonders einfach gelagerte Fälle im Ergebnis abweichende Entscheidung des 4. Senats für Familiensachen (OLG Frankfurt - 4 WF 44/00, gestützt auf die frühere Rechtsprechung des 28. Zivilsenats) ist vor dieser Entscheidung des BVerfG ergangen; der Entscheidung des 6. Senats für Familiensachen (OLG Frankfurt v. 3.3.2006 - 6 WF 28/06, OLGReport Frankfurt) liegt insofern ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde, als dort das Kind klagte und bereits durch das Jugendamt als Ergänzungspfleger sachkundig vertreten war. Vorliegend ist davon auszugehen, dass auch ein bemittelter Kläger sich für ein Verfahren mit so weit reichender Bedeutung eines Anwalts bedient hätte. Eine Beweisaufnahme mit der Kindesmutter und einem als Vater des beklagten Kindes in Betracht kommenden Zeugen ist für den 2.11.2006 anberaumt. Ob danach noch ein Gutachten benötigt wird oder nicht, ist eine durchaus offene und bedeutsame Frage, zu der der Kläger vor einer etwaigen Stellungnahme sachkundigen Rechtsrat in Anspruch nehmen darf, wobei die Aufklärungs- und Beratungspflicht eines Anwalts über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinausgeht (BVerfG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 1, 3 GKG, 127 Abs. 4 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1680246 |
NJW 2007, 230 |
ZKJ 2007, 32 |
OLGR-West 2007, 203 |