Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Verfahrenskostenhilfe für Kind, wenn Voraussetzungen für Beiordnung von Rechtsanwalt fehlen

 

Leitsatz (amtlich)

Auch dem nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähigen Kind kann in einem Sorgerechtsverfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 78 Abs. 2 FamFG mangels Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht gegeben sind.

 

Normenkette

BGB § 1671; FamFG § 78 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Fürth (Beschluss vom 06.04.2022; Aktenzeichen 4 F 394/21 SO)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

 

Gründe

I. Die am XX.XX.2005 geborene Beteiligte zu 1. begehrt Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für ein erstinstanzliches Sorgerechtsverfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB.

Mit Schreiben vom 29.12.2021 wandte sich die Beteiligte zu 3., die vormals mitsorgeberechtigte Mutter der Beschwerdeführerin, an das Amtsgericht und teilte mit, dass sie ihr Sorgerecht an ihren ehemaligen Ehemann und den Vater der Beteiligten zu 1. "abtreten" möchte, da sie über keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter verfügen würde und auch deren Lebensunterhalt nicht sicherstellen könne.

Mit Schreiben vom 13.1.2022 beantragte der Beteiligte zu 2. - der Vater der Beschwerdeführerin - die Übertragung des alleinigen Sorgerechts.

Die Eltern der Beschwerdeführerin leben bereits seit längerer Zeit voneinander getrennt und sind seit 2015 geschieden. Das Kind hatte zunächst nach der Trennung im Haushalt der Mutter gelebt, seit Anfang 2020 lebt es im Haushalt seiner Tante, der Schwester ihres Vaters.

Nachdem das Amtsgericht Termin zur mündlichen Erörterung bestimmt hatte, meldete sich Rechtsanwältin A für die Beteiligte zu 1. und beantragte in deren Namen Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Person sowie die Verlegung des anberaumten Termins. Das Amtsgericht wies den Terminverlegungsantrag zurück und wies darauf hin, dass die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe im Hinblick auf § 78 Abs. 2 FamFG nicht in Betracht käme. Die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1. verwies auf die Verfahrensfähigkeit des Kindes in Verfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB und kündigte Beschwerde gegen eine etwaige Verweigerung von Verfahrenskostenhilfe an. Zu dem Termin am 6.4.2022 erschien die Verfahrensbevollmächtigte des Kindes nicht.

In dem betreffenden Termin erschienen die nicht anwaltlich vertretenen Eltern und die Beschwerdeführerin. Die Kindesmutter wiederholte ihre Zustimmung zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung der Alleinsorge auf den Kindesvater. Nach Belehrung über ihr Widerspruchsrecht erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie mit der Übertragung des Sorgerechts auf ihren Vater einverstanden sei.

Mit Beschluss vom 6.4.2022 übertrug das Amtsgericht dem Kindesvater die alleinige Sorge und legte die Gerichtskosten den Eltern hälftig auf. Mit Beschluss vom selben Tag wies es den Verfahrenskostenhilfeantrag der Beteiligten zu 1. mangels Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung zurück.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. Sie verweist auf die hochkomplexe familiäre Situation, wie sie bereits in früheren Sorgerechtsverfahren zu Tage getreten sei. Gegenüber der Kindesmutter erhebt sie schwere Vorwürfe, u. a. wirft sie ihr psychische Gewalt vor, aufgrund derer sie massiv belastet sei. Wegen des weiteren Vorbringens wird Bezug genommen auf die Beschwerdeschrift vom 11.4.2022. Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 28.4.2022 nicht abgeholfen.

II. Die nach §§ 76 Abs. 2, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Zwar sind Kinder, die bereits das 14. Lebensjahr überschritten haben, unzweifelhaft in Sorgerechtsverfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB im Hinblick auf ihr Widerspruchsrecht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig (BT-Drs. 16/9733, 288) und können deshalb als Beteiligte des Verfahrens einem Rechtsanwalt Verfahrensvollmacht erteilen (BGH FamRZ 2014, 110; OLG Dresden FamRZ 2014, 1042) und einen eigenen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 117 Abs. 1 ZPO stellen (vgl. BGH FamRZ 2021, 1402).

Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Stellung eines Verfahrenskostenhilfeantrages kann allerdings bei Kindern in Kindschaftssachen, die ihre Person betreffen, im Hinblick auf § 81 Abs. 3 FamFG nur insoweit bestehen, als es die Finanzierung etwaiger außergerichtlicher Auslagen, insbesondere der Anwaltsgebühren betrifft.

Es bestehen jedoch schon schwerwiegende Zweifel daran, ob minderjährige Beteiligte ungeachtet ihrer Verfahrensfähigkeit in Kindschaftssachen überhaupt rechtlich dazu imstande sind, ohne Mitwirkung der Sorgeberechtigten in rechtswirksamer Weise einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem Rechtsanwalt zu schließen. Dass dieser iSd § 107 BGB nicht lediglich rechtlich...

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