Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit mündlicher Verhandlung im einstweiligen Anordnungsverfahren

 

Normenkette

FamFG § 26; GG Art. 103

 

Verfahrensgang

AG Dieburg (Beschluss vom 29.09.2022; Aktenzeichen 51 F 540/22 EASO)

 

Gründe

Die Vorlageverfügung des Amtsgerichts vom 14. Oktober 2022 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung und Neuentscheidung über die einstweilige Anordnung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Kindesvater und Beschwerdeführer wendet sich gegen den "aufgrund mündlicher Erörterung" ergangenen Beschluss vom 29.09.2022, mit dem im Wege einer einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für die Beteiligte zu 1. in den Teilbereichen schulische Angelegenheit und "Recht auf Antragstellung" auf die Kindesmutter und Beteiligte zu 4. vorläufig alleine übertragen wurde.

Das Amtsgericht hat am 09.09.2022 in der Hauptsache ... mündlich verhandelt. Im Rahmen der Erörterung wurde auch die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung angesprochen. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde seitens der Kindesmutter angekündigt, aber nicht gestellt. Der Antrag wurde nachträglich mit Schriftsatz vom selben Tag gestellt.

Es wurde ein Termin für die Kindesanhörung festgelegt. Die Kindesanhörung fand entsprechend am 15.09.2022 statt.

Mit Schreiben vom 26.09.2022 nahm der Beschwerdeführer zum Antrag der Kindesmutter Stellung und beantragte selbst, ihm die Gesundheitsfürsorge für die Beteiligte zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung zu übertragen.

Die Sache ist unter Aufhebung der amtsgerichtlichen Vorlageverfügung zur Neuentscheidung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Der - entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung - als "Beschwerde" bezeichnete Rechtsbehelf des Antragsgegners stellt bei zutreffender Auslegung unter den Umständen des vorliegenden Falles tatsächlich einen Antrag auf Neuentscheidung nach mündlicher Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG dar. Der gestellte Hilfsantrag aus dem Schriftsatz vom 11.10.2022 ist damit der richtige Rechtsbehelf. Entgegen der Annahme des Amtsgerichtes hat eine mündliche Verhandlung oder Erörterung bislang nicht stattgefunden, so dass gemäß § 57 Satz 2 FamFG eine Beschwerde derzeit auch nicht zulässig wäre.

Zweck eines Termins zur mündlichen Erörterung im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ist vor allem die Aufklärung des Sachverhalts (§ 26 FamFG) und in Ausprägung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 37 Abs. 2 FamFG) die Gelegenheit für die Beteiligten, ihre Position dem Gericht mündlich zu vermitteln (OLG Celle FamFR 2012, 566.) sowie Gelegenheit zur gütlichen Einigung zu geben (vgl. Keidel/Giers, FamFG § 57 Rn. 5 und § 51 Rn. 15). Insofern setzt eine im Sinne der § 57 Satz 2 FamFG auf mündlicher Erörterung beruhende Entscheidung - auch nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen - zwingend voraus, dass dem Antragsgegner eine effektive Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben worden ist (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 28.02.2013, Az. 5 UF 55/13 - juris). Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung liegt daher schon nicht vor, wenn das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Erörterung weitere Ermittlungen getätigt hat (z.B. einen Jugendamtsbericht eingeholt oder das Kind angehört hat) und die daraus gewonnenen Erkenntnisse seiner Entscheidung (auch) zugrunde gelegt hat (Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, § 54 Aufhebung oder Änderung der Entscheidung, Rn. 8).

Dies ist hier der Fall. Zum einen wurden sowohl die Anträge der Antragstellerin und Kindesmutter als auch der Antrag des Antragsgegners und Kindesvaters erst nach der mündlichen Erörterung gestellt. Eine Stellungnahme zu den Anträgen konnte im Termin noch nicht erfolgen. Die Stellungnahmefrist für den Antragsgegner zur Erwiderung auf den schriftsätzlich gestellten Antrag wurde entsprechend sogar verlängert. Entscheidend ist jedoch vor allem, dass das Amtsgericht das Kind erst nach dem Anhörungs- und Erörterungstermin vom 09.09.22 angehört hat. Da die Anhörung des Kindes im Beschluss auch zugrunde gelegt wurde, ist keine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen.

Das Amtsgericht wird bei seiner nach mündlicher Verhandlung erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass die Übertragung des "Rechts auf Antragstellung" zu unbestimmt ist. Es dürfte der Zusatz "nach dem SGB VIII" fehlen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15912243

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge