Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Testaments mit Ersatzschlusserbenregelung
Leitsatz (amtlich)
Zur erläuternden und ergänzenden Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments in Bezug auf eine Ersatzschlusserbenregelung.
Normenkette
BGB §§ 2069, 2270
Verfahrensgang
AG Gießen (Beschluss vom 20.02.2015; Aktenzeichen 22 VI ... 894/14) |
Tenor
Auf die befristete Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) wird der Beschluss des AG Gießen vom 20.2.2015 abgeändert. Die zur Erteilung des beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet. Das AG wird angewiesen, den von der Beteiligten zu 1) am 22.8.2014 beantragten Erbschein zu erteilen.
Die Gerichtskosten des Erbscheinverfahrens in erster Instanz trägt die Beteiligte zu 1). Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten zu 3) und 4) als Gesamtschuldner. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 80.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am ... 2014 verstorbene Erblasserin war mit dem am ... 2006 vorverstorbenen A verheiratet. Aus der Ehe gingen die Beteiligten zu 1) und 2) sowie der am ... 2012 vorverstorbene Sohn B hervor. Die Kinder des vorverstorbenen Sohnes sind die Beteiligten zu 3) und 4). Sie gingen aus der Ehe des B mit der Zeugin C hervor. Die Ehe geriet bereits vor dem Tod des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin in die Krise, die Eheleute trennten sich jedoch erst nach dessen Tod, wobei es im Jahr 200x noch zu einem gemeinsamen Urlaub kam. Am ... 2009 wurde die Ehe geschieden.
Am ... 1965 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann ein handschriftliches, vom Nachlassgericht eröffnetes gemeinschaftliches Testament. Hierin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Erben des Überlebenden sollten ihre Kinder "B, D und E sowie die Kinder, die uns noch geboren werden", sein. Ferner enthielt das Testament eine Pflichtteilsklausel sowie unter Ziffer 4 eine Wiederverheiratungsklausel. Diese lautet:
"Geht der überlebende Teil eine neue Ehe ein, so soll er jedem Kind als Vermächtnis eine Summe auszahlen, welche dem Wert des Erbteils gleichkommt, den das Kind vom Nachlass (des verstorbenen Teils) erhalten würde, wenn er sein gesetzlicher Erbe geworden wäre. Dem Ehegatten und den Kindern aus der neuen Ehe darf er ihren Pflichtteil, aber nur in der Form des Vermächtnisses, zuwenden. Im Übrigen soll das Testament bestehen bleiben".
Nach dem Tod ihres Mannes und ihres Sohnes errichtete die Erblasserin am ... 2013 ein weiteres handschriftliches und vom Nachlassgericht eröffnetes Testament, das sie mit "Testamentsergänzung" überschrieb. Hierin stellte sie fest, dass das gemeinschaftliche Testament mit ihrem Mann keine Ersatzschlusserbenregelung enthalte. Sie setzte daher die Beteiligten zu 1) und 2) jeweils zur Hälfte zu ihren alleinigen Erben ein.
Am 11.9.2014 hat die Beteiligte zu 1) einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, der sie und ihre Schwester, die Beteiligte zu 2), als Alleinerben der Erblasserin ausweisen soll. Zur Begründung hat sie sich auf die letztwillige Verfügung der Erblasserin vom ... 2013 berufen. Dem Erbscheinantrag sind die Beteiligten zu 3) und 4) entgegen getreten. Ihrer Auffassung nach enthielt das gemeinschaftliche Testament der Eheleute vom ... 1965 eine Ersatzschlusserbeneinsetzung zu ihren Gunsten. Dabei sei ihre Ersatzerbeneinsetzung wechselbezüglich zu der Alleinerbenstellung der Erblasserin gewesen, weswegen diese nach dem Tod ihres Ehemanns an einer Änderung gehindert gewesen sei.
Das Nachlassgericht hat schriftliche Stellungnahmen der Zeugen C, F, G, H, I und E eingeholt. Hinsichtlich deren Angaben wird auf Bl. 62 ff., 69 f., 51, 53 f., 55 ff. und 59 f. d.A. verwiesen.
Sodann hat es mit dem angefochtenen Beschluss vom 20.2.2015, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 86 ff. d.A.), den Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 1) und 2) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erblasserin sei an der Änderung des gemeinschaftlichen Testaments gehindert gewesen. Eine ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfügung der Eheleute ergebe, dass die Eheleute im Wege einer Ersatzschlusserbenregelung die Beteiligten zu 3) und 4) als Erben eingesetzt hätten, wenn sie bei der Testamentserrichtung bedacht hätten, dass ihr Sohn vor ihnen versterben würde. Diese Regelung sei - wie sich aus der Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ergebe - ebenso wie die Erbeinsetzung des vorverstorbenen Sohnes und der Beteiligten zu 1) und 2) als Töchter der Eheleute wechselbezüglich gewesen.
Gegen diesen den Beteiligten zu 1) und 2) am 27.2.2015 (Bl. 94 d.A.) zugestellten Beschluss haben sie mit am 16.3.2015 beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz befristete Beschwerde eingelegt. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt, das Nachlassgericht habe zu Unrecht gemeint, eine Ersatzerbenstellung der Beteiligte...