Entscheidungsstichwort (Thema)
Stiefkindadoption trotz Leihmutterschaft möglich
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Stiefkindadoption eines im Ausland rechtmäßig nach Eizellspende und sog. Leihmutterschaft entstandenen Kindes ist im Sinne des § 1741 Abs. 1 S. 2 BGB für das Kindeswohl erforderlich, wenn das Kind seit geraumer Zeit im Haushalt der Annehmenden und des rechtlichen Vaters des Kindes gemeinsam erzogen wird und keine Anhaltspunkte für eine dem Kindeswohl abträgliche Versorgung erkennbar sind.
2. Es kommt dann nicht darauf an, ob der rechtliche Vater auch genetischer Vater des Kindes ist und ob die Annehmende selbst die Spenderin der Eizelle war, weil im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGHMR (Beschluss vom 6.12.2022, Beschwerde Nr. 25212/21) in erster Linie auf das Wohl des Kindes abzustellen ist, für das die Bindung zu seinen sozialen Eltern zentral ist.
3. Die nach § 196a FamFG für die Eltern und den Stiefelternteil vorgeschriebene Beratung bei Stiefkinderadoptionen gem. §§ 9a Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 AdVermiG kann im Adoptionsverfahren nachgeholt werden (entgegen OLG Brandenburg, Beschluss vom 4. Januar 2022 - 9 UF 206/21).
Normenkette
BGB § 1741; FamFG § 196a
Tenor
I. Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stadt2 vom 18. Januar 2023 wird auf die Beschwerde des Vaters und der Annehmenden wie folgt abgeändert.
Frau Vorname1 V, geborene W, geboren am XX.XX.1968, Standesamt Stadt1, Geb. Reg. Nr. ...,
Ehefrau von Herrn Vorname2 V, geboren am XX.XX.1960, Standesamt Stadt2, Geb.Reg.Nr. ...,
Eheschließung am XX.XX.2018 vor dem Standesbeamten des Standesamts in Stadt3/Bundesland1, Heir.Reg.Nr. ...,
beide wohnhaft Straße1, Stadt3,
nimmt das minderjährige Kind ihres Ehemanns,
Vorname3 V, geb. am XX.XX.2020, Standesamt: Abteilung des Standesamtes der staatlichen Registrierung der standesamtlichen Akte im Stadtbezirk A in Stadt4 (Ukraine) bei der überregionalen Zentralverwaltung des Justizministeriums (in Stadt4, Ukraine), Geb.Reg.Nr ..., wohnhaft ebenfalls Straße1, Stadt3,
als Kind an.
Die Annahme stützt sich auf die Vorschriften der §§ 1741 Abs. 2 S. 3 i.V.m. §§ 1754, 1755 Abs. 2, 1756 Abs. 1, 2 BGB.
Mit der Annahme erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten (§ 1754 BGB).
II. Die Kosten des Verfahrens haben der Vater des Kindes und die Annehmende zu gleichen Teilen zu tragen.
III. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Mit notarieller Urkunde vom 20. August 2020 hat die 1968 geborene Frau Vorname1 V (im Folgenden: die Annehmende) am 16. Dezember 2020 beim Amtsgericht Stadt2 beantragt auszusprechen, dass sie das Kind Vorname3 V als Kind annimmt. Vorname3 (im Folgenden: der Anzunehmende) ist ausweislich der dem Antrag beigefügten Geburtsurkunde (Bl. 7 d.A.), der Sohn von Herrn Vorname2 V, mit dem die Annehmende das zweite Mal verheiratet ist. Die erste Ehe hatten beide am XX.XX.1996 geschlossen, sie sind am XX.XX.2013 geschieden worden. Das zweite Mal heirateten die Annehmende und Herr V am XX.XX.2015.
Die Annehmende hat ein eigenes - bereits volljähriges - Kind. Dieses hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hat keine Einwände gegen die Adoption vorgebracht.
Im dem am 16. Dezember 2020 eingeleiteten Verfahren vor dem Amtsgericht konnte geklärt werden, dass Mutter des anzunehmenden Kindes Frau Vorname5 X ist. Die Annehmende und der Vater des Kindes hatten sich an eine in Tschechien und der Ukraine rechtmäßig handelnde Kinderwunschklinik in Stadt5 (Tschechien) gewendet. Dort ist mithilfe einer Eizellspende bei Frau X eine Schwangerschaft eingeleitet worden (sog. "Leihmutterschaft"). Nach der Geburt des Kindes hat Herr V die Vaterschaft für das Kind anerkannt (notarielle Anerkennungsurkunde vom 4. Februar 2020, Bl. 131 d.A.).
Da das Ehepaar zwei Kinder wollte, ist außerdem noch ein weiteres Kind, Vorname4 V, auch über den Weg einer Leihmutterschaft entstanden. Für die von einer anderen Frau am XX.XX.2020 geborene Vorname4 hat ausweislich des beigezogenen Vorgangs ... des Amtsgerichts Stadt2 ebenfalls Herr Vorname2 V die Vaterschaft anerkannt. In dem erwähnten Verfahren strebt die hiesige Annehmende ebenfalls an, ihr Stiefkind Vorname4 zu adoptieren. In diesem Verfahren ist noch keine Entscheidung des Amtsgerichts ergangen, weil vor dem Hintergrund der schwierigen Frage einer sittlichen Rechtfertigung der Adoption der Ausgang des vorliegenden Verfahrens abgewartet werden soll.
Das Amtsgericht hat im erstinstanzlichen Verfahren zunächst festgestellt, dass die Mutter des Kindes Vorname3 ihr Einverständnis zur Adoption durch die Annehmende nicht erklärt hat. Außerdem fehlte die Bescheinigung über die Beratung bei einer Adoptionsvermittlungsstelle gemäß § 9 a AdVermiG, § 196 a FamFG. Letztere haben die Annehmende und der Vater des Anzunehmenden am 10. November 2022 in Anspruch genommen und die notwendige Bescheinigung im Verlauf des amtsgerichtlichen Verfahrens beigebracht (Bl. 37 d. A.).
Wegen der zunächst nur schleppenden Mitwirkung...