Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung: Erforderlichkeit der Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts bei Klage gegen Haftpflichtversicherer und Fahrzeugführer

 

Normenkette

ZPO § 91

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Beschluss vom 23.07.2021; Aktenzeichen 3 O 76/20)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 02.08.2021 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gießen vom 23.07.2021 werden dieser und der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Gießen vom 27.04.2022 aufgehoben und wird die Sache

zur erneuten Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 27.11.2020 unter Beachtung der in diesem Beschluss niedergelegten Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts

und

zur Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens

an das Landgericht Gießen zurückverwiesen.

Beschwerdewert: bis zu 500 EUR

 

Gründe

1. Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

2. Die Beschwerde ist insoweit begründet, als das Landgericht die Kosten in Höhe von insgesamt 226,10 EUR, die auf der Seite der Beschwerdeführer durch die Tätigkeit von Rechtsanwalt A entstanden sind (Bl. 104 d.A.), nicht gegen die Klägerin festgesetzt hat.

Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei diesem Betrag nicht um nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähige Kosten des Rechtsstreits handelt.

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die dem Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Erstattungsfähigkeit der im Streit befindlichen Anwaltskosten hängt, auch wenn es jedem Streitgenossen unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich freisteht, einen eigenen Rechtsanwalt zu beauftragen, in Fallkonstellationen der vorliegenden Art davon ab, ob es für den Beklagten zu 1 notwendig war, sich durch einen weiteren, gesondert beauftragten Rechtsanwalt vertreten zu lassen, obwohl der mitverklagte Haftpflichtversicherer einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten bestellt hat; denn nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Anwälte einer Partei vom unterlegenen Gegner nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Anwalts nicht übersteigen oder in der Person des Anwalts ein Wechsel erforderlich war. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn ein konkreter sachlicher Grund die Inanspruchnahme von mehreren Prozessbevollmächtigten gebietet (grundlegend: BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004, VI ZB 76/03, juris m.w.N.).

Dabei ist in Fällen, in denen nach einem Unfall der Versicherungsnehmer des unfallbeteiligten Fahrzeugs gemeinsam mit seinem Haftpflichtversicherer verklagt wird, der Umstand, dass nach den im Innenverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und seiner Haftpflichtversicherung geltenden Versicherungsbedingungen der Versicherungsnehmer im Falle eines Rechtsstreits dessen Führung dem Versicherer zu überlassen und dem Rechtsanwalt, den der Versicherer bestellt, Vollmacht zu erteilen hat, sich damit also grundsätzlich jeder Einflussnahme auf die Prozessführung zu enthalten und auch von sich aus keinen Anwalt zu bestellen hat, zu beachten. Diese Regelung spricht dagegen, dem prozessualen Gegner die durch die gleichwohl erfolgte individuelle Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Versicherungsnehmer entstehenden Mehrkosten aufzuerlegen. Vielmehr spricht diese Regelung gerade für eine Begrenzung der Kostenerstattungspflicht (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 23.12.2011 - 9 W 269/11, juris Rn. 7 mwN). Beim Versicherer handelt es sich nämlich regelmäßig um ein gewerbliches Unternehmen, das oft über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass sachkundige Mitarbeiter der Rechtsabteilung den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereiten und ihren Prozessbevollmächtigten entsprechend unterrichten. Aber auch dann, wenn der Haftpflichtversicherer keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Rechtsanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt, ist die Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts für den Versicherungsnehmer, wenn er ersichtlich kein über die Interessen des Versicherers hinausgehendes oder ihnen entgegen gerichtetes Prozessziel verfolgt, nicht bzw. nicht mehr erforderlich, sobald der Versicherer den Rechtsstreit aufnimmt (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004, VI ZB 76/03, juris Rn. 10).

Von diesen Grundsätzen gehen auch der Beschwerdeführer und die Beschwerdeerwiderung aus.

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von dem im Rahmen obiger Ausführungen zugrunde gelegten aber insoweit, als bei der vorliegenden Fallgestaltung der Klage gegen den Fahrzeugführer und dem mitverklagten Haftpflichtversicherer des durch einen Dritten gehaltenen Fahrzeugs keine unmittelbare vertragliche Beziehung besteht. Es kann da...

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