Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorrang des Deutsch-Iranischen Niederlassungsabkommens vor EuGüVO

 

Verfahrensgang

AG Darmstadt (Beschluss vom 01.09.2023; Aktenzeichen 58 F 1390/23 VKH1)

 

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt vom 01.09.2023 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 02.10.2023 wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe an das Amtsgericht zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass der Beschwerdeführerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht versagt wird.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Beteiligten schlossen am XX.XX.2019 in der Islamischen Republik Iran die Ehe miteinander. Seinerzeit waren beide Ehegatten iranische Staatsangehörige. Bei Eheschließung versprach der Antragsgegner der Antragstellerin u.a. 110 Goldmünzen Bahar Azadi als Brautgabe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Heiratsurkunde des Heiratsnotariats Teheran Nr. ..., Urkundenrolle Nr. ... (Bl. 8 ff. d. A.) Bezug genommen.

Nach der Eheschließung begründeten die Beteiligten ihren ersten gemeinsamen Wohnsitz in der Straße1 in Stadt1. Der Antragsgegner besitzt seit dem 28.03.2021 die deutsche Staatsangehörigkeit.

Vor Antragstellung forderte die Antragstellerin den Antragsgegner wiederholt fruchtlos zur Herausgabe der Brautgabe auf.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit Beschluss vom 01.09.2023 - der Antragstellerin zugestellt am 16.09.2023 - mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, dass nach Art. 26 Abs. 1 lit. a) EuGüVO deutsches Rechts zur Anwendung gelänge und es für eine wirksame Vereinbarung der Brautgabe an der nach deutschem Recht erforderlichen notariellen Beurkundung fehle.

Mit beim Amtsgericht am 18.09.2023 eingegangenem Schreiben hat die Antragstellerin erklärt, die Entscheidung des Amtsgerichts auf keinen Fall akzeptieren zu können.

Mit Beschluss vom 02.10.2023 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Das Schreiben der Antragstellerin, mit welchem sie erklärt hat, sie könne "auf keinen Fall die VKH-Ablehnung akzeptieren", wird wegen des in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten verfassungsrechtlichen Anspruchs der Antragstellerin auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle als sofortige Beschwerde gegen den ihr am 16.09.2023 zugestellten Beschluss vom 01.09.2023 ausgelegt.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 76 Abs. 2 FamFG, § 127 Abs. 2 Satz 2, §§ 567 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag.

Gemäß Art. 62 Abs. 1 EuGüVO gilt das Deutsch-Iranische Niederlassungsabkommen (RGBl. 1930 II S. 1006) in Deutschland grundsätzlich weiter vorrangig vor der EuGüVO, nach dessen Art. 8 Abs. 3, der auch das Verlangen der Herausgabe der Brautgabe umfasst, iranisches Rechts anwendbar ist (MüKoBGB/Looschelders, 8. Aufl. 2020, EuGüVO Art. 62 Rn. 11 mit Verweis auf Kohler in Dutta/Weber, Die Europäische Güterrechtsverordnungen, 2017, 163 (168) Rn. 9; Martiny ZfPW 2017, 1 (31); Erb-Klünemann, in: Gottwald, Münchener Prozessformularbuch Familienrecht, 6. Aufl. 2021, Form. K.V.1 Anm. 1). Das Abkommen gilt zwar nur für Ehen iranischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland und für Ehen deutscher Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Islamischen Republik Iran (Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis 4. Aufl. 2021, § 8 Rn. 11; MüKoBGB/Looschelders, a.a.O., Rn. 7, 9). Überdies kann ein Staatsangehörigkeitswechsel nach der Eheschließung - wie er vorliegend auf Seiten des Antragsgegners erfolgt ist - zu einer Änderung des Güterrechtsstatuts und von diesem Zeitpunkt an zu einer Unanwendbarkeit des Abkommens führen, weil das Abkommen keinen Zeitpunkt für die Anknüpfung bestimmt (Hausmann/Odersky, a.a.O., § 9 Rn. 11). Jedoch berührt der Statutenwechsel nicht solche Ehewirkungen, die unter dem früheren Statut bereits eingetreten waren. Das nach dem früheren iranischen Ehewirkungsstatut abgegebene Brautgabeversprechen verliert somit seine Bindungswirkung nicht (Hausmann/Odersky, a.a.O., § 8 Rn. 31 f.; § 9 Rn. 13). Auf diese Weise soll Rechtssicherheit gewährleistet werden; wohlerworbene Rechte der Ehegatten sollen erhalten bleiben (Hausmann/Odersky, a.a.O., § 9 Rn. 36).

Selbst wenn man der Rechtsauffassung des Amtsgerichts folgend wegen der von den Beteiligten nach dem 29.01.2019 eingegangenen Ehe (Art. 69 Abs. 3 EuGüVO) auf die EuGüVO abstellen würde, von deren Art. 3 Abs. 1 lit. a) EuGüVO auch Brautgaben nach islamisch geprägten Rechtsordnungen erfasst sind (Dutta, FamRZ 2019,...

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