Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Pflichten des Bausachverständigen im Beweisverfahren

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Beschluss vom 27.10.2003; Aktenzeichen 2 O 161/99)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die Anordnung der 2. Zivilkammer des LG Marburg vom 27.10.2003 (2 O 161/99) aufgehoben.

Die erneute Entscheidung der Frage, welcher Beteiligte die für die Begutachtung durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. A. erforderliche Bauteileröffnung veranlassen, in Auftrag geben, anschließend wieder beseitigen und ggf. für Schäden haften muss, wird der 2. Zivilkammer des LG Marburg übertragen.

Die Zivilkammer wird angewiesen, die entspr. Maßnahmen der für das Beweisthema (oder der für das jeweilige Beweisthema jeweils) beweisbelasteten Partei des Rechtsstreits aufzugeben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

 

Gründe

Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits hat die 2. Zivilkammer des LG Marburg den Sachverständigen Dipl.-Ing. A. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Aus dem – dem Beschwerdegericht nur mit dem Recht des LG Marburg zugänglich gemachten – Sachverhalt ist zu entnehmen, dass es um die Feststellung etwaiger Mängel im Aufbau innerhalb der Wände eines Wohnhaus-Bauwerks geht. Auftraggeber sind die Beklagten, Bauunternehmerin ist die Klägerin. Der Sachverständige hat im Zusammenhang mit der Anberaumung eines Ortstermins zur Besichtigung des Bauwerks die Beklagten gebeten, einen Handwerker, Schreiner oder Trockenbauer, zu stellen, der Kernbohrungen DN 50 mm im Bereich der Wände vornehmen kann.

Mit Schriftsatz vom 2.10.2003 haben die Beklagten das Gericht gebeten, dem Sachverständigen aufzugeben, die Klägerin zu veranlassen, für die Ortsanwesenheit eines Handwerkers Sorge zu tragen oder den Handwerker selbst beizuziehen. Hierzu haben sie die Auffassung vertreten, die Klägerin sei die beweisbelastete Partei. Die Klägerin hat dem unter Hinweis darauf widersprochen, bei der Bauwerksannahme sei nur die Statik für die Stahlkonstruktion gerügt worden, nicht jedoch die Mängel, um die es jetzt gehe. Sie lehnt eine Verantwortung für die Bauteilöffnung und eine Haftung für etwaige, hieraus entstehende Schäden ab.

Die 2. Zivilkammer des LG Marburg hat daraufhin durch Anordnung vom 27.10.2003 den Beklagten gem. §§ 144, 371 ZPO (entspr.) aufgegeben, einen Handwerker, wie vom Sachverständigen in dessen Schreiben vom 18.8.2003 gefordert, zum Ortstermin zu stellen. Die Beklagten als Eigentümer des Wohnhauses seien gehalten, dieses „Augenscheinsobjekt” im Rahmen ihrer Mitwirkungsobliegenheit in einer Weise zur Verfügung zu stellen, welche dem Sachverständigen die für die Begutachtung notwendigen Feststellungen ermögliche. Auf die Beweislast der Klägerin komme es hierbei nicht an.

Mit ihrer hiergegen gerichteten, am 6.11.2003 bei Gericht angebrachten sofortigen Beschwerde begehren die Beklagten die Aufhebung dieser Anordnung mit dem Ziel, den Sachverständigen mit den erforderlichen Bauteileöffnungen am Gebäude der Beklagten auf dessen Verantwortung zu beauftragen.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten – der die Zivilkammer nicht abgeholfen hat – ist gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft. Zwar stellt die angegriffene Anordnung der Zivilkammer vom 27.10.2003 ihrem Wortlaut nach keine ausdrückliche Zurückweisung eines das Verfahren betreffenden Gesuchs der Beklagten dar. Vielmehr wird den Beklagten eine Auflage zur Mitwirkung an der Beweiserhebung durch den Sachverständigen durch entspr. Vorbereitungen des Bauwerks im Wege der Bauteileöffnung aufgegeben. Inhaltlich ist damit aber das Ersuchen der Beklagten aus dem Schriftsatz ihres Anwalts vom 2.10.2003, dem Sachverständigen oder der Klägerin die Bauteileöffnung aufzugeben, abgelehnt. Diese Ablehnung betrifft auch das Verfahren im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits, denn sowohl die Beweisaufnahme an sich als auch die Fragen einer etwaigen Beweisfälligkeit oder gar Beweisvereitelung hängen unmittelbar davon ab, ob die fraglichen Bauteile überhaupt eröffnet werden und wer für die Bauteileeröffnung Sorge tragen muss.

Für die Bescheidung der sofortigen Beschwerde ist der originäre Einzelrichter des Senats zuständig. Zwar werden die einschlägigen Fragen von einigen OLG gegenläufig entschieden (vgl. z.B.: OLG Frankfurt BauR 1968, 1052; OLG Düsseldorf v. 16.1.1997 – 23 W 47/96, MDR 1997, 886 = BauR 1997, 697 f.; OLG Celle OLGReport Celle 1998, 71 – jeweils Aufgabe des Sachverständigen; dagegen: OLG Bamberg BauR 2002, 829 f.; OLG Brandenburg v. 9.8.1995 – 8 W 125/95, BauR 1996, 432 ff. [434 ff.]; auch Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Aufl., Rz. 91, 2672). Doch führt eine Unheinheitlichkeit der Beschwerderechtsprechung nicht zur Übertragung der Beschwerdesache vom originären Einzelrichter auf den Senat, denn diese ist nur bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache geboten – § 568 S. 2. Nr. 2 ZPO. Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache und die Sicherung einer einheitlichen Rspr. sind voneinander zu unterscheiden, wie §§ 511 Abs. 4 Nr. 1 und 2 und 574 A...

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