Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergaberecht: Auslegung der Anforderung von Eignungskriterien
Leitsatz (amtlich)
1. Ein (vermeintlicher) Vergabeverstoß, von dem der Bieter durch Akteneinsicht Kenntnis erlangt, muss so rechtzeitig im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, dass keine Verzögerung des Verfahrens eintritt.
Erhält der Bieter längere Zeit vor der mündlichen Verhandlung Akteneinsicht durch Übersendung einer Kopie des Vergabevermerks, so ist die darauf gestützte Rüge eines Dokumentationsmangels präkludiert, wenn sie erstmals in einem nachgelassenen Schriftsatz im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer vorgetragen wird. Eine Rüge, die die Vergabekammer zu Recht als präkludiert ansieht, kann auch im Beschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht werden.
2. Das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet die Vergabestelle, die Angebote aller Bieter auszuschließen, die aufgrund unterschiedlicher gleichwertiger Mängel zwingend auszuschließen sind (Anschluss an OLG Karlsruhe, VergabeR 2007, 338). Von einem gleichwertigen Mangen ist auch auszugehen, wenn ein Angebot schon aus formalen Gründen (fehlende Eignungsnachweise) und ein anderes aus materiellen Gründen (mangelnde Eignung) auszuschließen ist.
Normenkette
GWB § 97 Abs. 7, § 107 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 113 Abs. 2 S. 1; VOL/A2 § 19 Abs. 5
Verfahrensgang
2. Vergabekammer des Landes Hessen (Beschluss vom 27.09.2011; Aktenzeichen 69d VK 30/11) |
Nachgehend
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 27.9.2011 - Az.: 69d VK 30/11 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Eilverfahrens einschließlich der zur notwendigen Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen zu tragen.
Der Geschäftswert wird auf 579.268,20 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsgegner hat im April 2011 den Dienstleistungsauftrag "Bioabfallverwertung inklusive Übernahme/Umschlag und Transport" europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. In der Vergabebekanntmachung war unter III. 2.3.) Technische Leistungsfähigkeit - Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen - u.a. gefordert:
"Liste der in den letzten drei Jahren auf dem Gebiet der Ver- und Entsorgung erbrachten Leistungen ...".
Unter I. 2.9.1. der Bewerbungsbedingungen - Mit dem Angebot einzureichende Unterlagen - Eignungsnachweise des Bieters - wurden diese Anforderungen wiederholt.
Neben der Antragstellerin und der Beigeladenen hat ein weiterer Bieter ein Angebot abgegeben, das aus formalen Gründen ausgeschlossen wurde. Mit Schreiben vom 1.8.2011 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin darüber, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werde, sondern die Beigeladene den Zuschlag erhalten solle. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Angebot der Antragstellerin müsse wegen fehlender Unterlagen ausgeschlossen werden. Auch die technische Leistungsfähigkeit sei nicht ausreichend nachgewiesen. Nachdem die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung ohne Erfolg gerügt hatte, stellte sie unter dem 10.8.2011 einen Nachprüfungsantrag. Zur Begründung hat sie vorgetragen, es bestünden Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen. Auch sei das Unternehmen in der Abfallwirtschaft bislang nicht aufgetreten und verfüge daher nach ihrer, der Antragstellerin, Kenntnis über keinerlei Referenzen, die Aufschluss über die Möglichkeit der Bewältigung eines entsprechenden Auftrags gäben. Auch Eignungsnachweise für die Muttergesellschaft seien nicht vorgelegt worden. Weiter hat die Antragstellerin ihren Ausschluss vom Vergabeverfahren als vergaberechtswidrig gerügt. Der Antragstellerin wurden am 30.8.2011 Auszüge aus dem Vergabevermerk übersandt. Am 13.9.2011 erhielt sie Akteneinsicht. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer (VK) hat sie mit Schriftsatz vom 21.9.2011 weiter vorgetragen, der Vergabevermerk verstoße gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot. Er bevorzuge tendenziös die Beigeladene, wobei mit Blick auf sie, die Antragstellerin, vergleichsweise umfangreich dazu ausgeführt werde, weshalb von ihr die Eignungskriterien nicht erfüllt würden, während die Eignungskriterien mit Blick auf die Beigeladene ohne nähere Begründung "abgenickt" würden und sich die Vergabedokumentation auf formelhafte Standardformulierungen beschränke. Die Beigeladene habe überhaupt keine Eignungskriterien nachweisen können. Die Muttergesellschaft der Beigeladenen habe Belege ihrer Eignung nur in der Form erbringen können, dass sie Gaslieferungen vornimmt. Diese Eignung habe nichts mit den hier im Raum stehenden Entsorgungs- und Versorgungsleistungen zu tun. Auch wenn die in den Vergabeunterlagen unter Ordnungspunkt I. 2.9.1. Ziff. 2 enthaltenen Eignungskriterien recht vage gefasst seien, werde den...