Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Aussetzung der restlichen Sicherungsverwahrung bei Verweigerung von Vollzugslockerungen
Leitsatz (amtlich)
1. Hängt die günstige Prognose zur Entlassung aus der Sicherungsverwahrung nur noch von der Bewährung des Untergebrachten in vollzugsöffnenden Maßnahmen ab, die ihm von der Vollzugsbehörde im gebotenen Umfang ohne zureichenden Grund versagt werden, und erscheint eine Einwirkung auf die Vollzugsbehörde durch bloßen Hinweis in der vollstreckungsgerichtlichen Entscheidung nicht ausreichend, so ist die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach § 454a Abs. 1 StPO auszusetzen.
2. Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist als die Fachgerichte bindende verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung des § 454a Abs. 1 StPO zu verstehen (vergleiche BVerfG, 30. April 2009, 2 BvR 2009/08, NJW 2009, 1941).
Verfahrensgang
LG Marburg (Entscheidung vom 03.07.2012; Aktenzeichen 7 StVK 56/12) |
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Verurteilten zu tragen hat, mit der Maßgabe verworfen, dass der Entlassungstermin auf den 15.12.2013 abgeändert wird.
Gründe
Das Landgericht Darmstadt verhängte mit Urteil vom 08.09.1987 gegen den Verurteilten wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren. Gleichzeitig ordnete es die Sicherungsverwahrung an. Diese und restliche Freiheitsstrafen aus vorangegangenen Verurteilungen waren am 08.05.2010 vollständig vollstreckt. Seitdem wird die Sicherungsverwahrung vollzogen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Maßregel zum 27.03.2013 mit fünfjähriger Führungsaufsicht unter Erteilung von Weisungen angeordnet. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, welcher die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Der Senat teilt die zutreffend begründete Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass die günstige Prognose (nur) noch von der Bewährung des Untergebrachten in vollzugsöffnenden Maßnahmen abhängt, diese ihm von der Vollzugsbehörde aber im gebotenen Umfange ohne zureichenden Grund versagt werden und eine Einwirkung auf die Vollzugsbehörde durch bloßen Hinweis in der vollstreckungsrechtlichen Entscheidung nicht ausreichend erscheint, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt NJW 2009, 1941 ff.), nach § 454a I StPO verfahren werden musste. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Der Senat folgt der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts seit seiner Entscheidung vom 23.02.2010 (3 Ws 142/10) unter Aufgabe seiner früheren gegenteiligen Auffassung (Senat, NStZ-RR 2001, 311; ebenso die bisher h.M. vgl. z.B. OLG Hamm, NStZ 2006, 63; OLG Jena, NStZ-RR 2006, 354; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 454a Rn 1; Appl, in: KK-StPO, 6. Aufl., § 454a Rn 2), welche Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft nach wie vor präferieren. Der Senat versteht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich als die Fachgerichte bindende (§ 31 I BVerfGG) verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung des § 454a I StPO (Senat, Beschl. v. 23.02.2010 - 3 Ws 142/10; ebenso OLG Köln OLGSt StPO § 45a Nr. 3 StPO).
Die günstige Prognose des Untergebrachten hängt (nur) noch von seiner Bewährung in (weitergehenden) Vollzugslockerungen ab. Zwar besteht nach den Gutachten des Sachverständigen SV 1 vom 31.10.2006 und des Sachverständigen SV2 vom 07.04.2010 und vom 18.04.2012 beim Verurteilten hohes strukturelles (aktuarisches) Risiko erneuter gewalttätiger Eigentumsdelinquenz, namentlich schweren Raubs oder schwerer räuberische Erpressung unter Mitführung geladener Schusswaffen und damit schwerer Gewalttaten im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2012 (BVerfGE 128, 326, 404 ff.; Senat, NStZ-RR 2012, 171; BGH, StV 2012, 213). Dieses ist ableitbar aus der Persönlichkeitsentwicklung des Unterbrachten vor der derzeitigen seit dem 20.11.1987 andauernden Inhaftierung und dem Verhalten im Vollzug bis 1998. Der Verurteilte hat dissoziale Verhaltensweisen bereits in der Schulzeit gezeigt, schon vor der Strafmündigkeit mit der Delinquenz begonnen, hat bereits frühzeitig erstmals Untersuchungs- und Strafhaft verbüßt, und hat vor allem bis zu seiner nunmehrigen Inhaftierung alle Möglichkeiten von Bewährungen und Lockerungen genutzt, um mit ausgesprochener Schnelligkeit und Progredienz (zuletzt unter Verwendung und zweimaligem Abfeuern scharfer Schusswaffen) immer wieder straffällig zu werden. Bis 1998 hat er zahlreiche Fluchtversuche unternommen und an seiner konsequent kriminellen Ausrichtung, nämlich ein durch Straftaten finanziertes Leben in Freiheit zu führen, festgehalten. Dieses strukt...