Entscheidungsstichwort (Thema)

Siehe Anlage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Während es bezüglich des Rückfallrisikos im Rahmen der Aussetzungsprognose nach § 57 StGB grundsätzlich nicht auf die Art des zu erwartenden Delikts ankommt, sondern bereits jede Straftat von einigem Gewicht ausreicht, ist bei der Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a Abs. 1 StGB die Gefahr der Begehung von Gewaltdelikten oder ähnlich schwerwiegender Straftaten erforderlich. Denn ohne eine solche Begrenzung wäre die dem Verurteilten aus verfassungsrechtlichen Gründen eingeräumte konkrete und realisierbare Chance auf Wiedererlangung seiner Freiheit nicht gewährleistet, weil bereits die Befürchtung der Begehung weniger gewichtiger Delikte, wie etwa von leichten oder mittelschweren Vermögens- oder Betäubungsmittelstraftaten, die Fortdauer der wegen eines Gewaltdeliktes verhängten lebenslangen Freiheitsentzugs rechtfertigen könnte.

2. Entsprechend dieser verfassungsrechtliche Vorgabe kommt es bei der Prüfung der Gewährung von vollzugsöffnender Maßnahmen bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten im Rahmen der Beurteilung der Missbrauchsgefahr auch maßgeblich darauf an, ob aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, der Verurteilte werde die begehrte Lockerung nutzen, um entsprechend gewichtige Straftaten zu begehen.

3. Kann eine ausreichend günstige Legalprognose allein wegen zu Unrecht versagter vollzugsöffnender Maßnahmen nicht getroffen werden. kann das Gericht wegen des bestehenden Prognosedefizits entsprechend der Vorschrift des § 454a Abs.1 StPO die Aussetzung des Strafrestes zur Be-währung unter Bestimmung eines künftigen Entlasszeitpunktes anordnen.

4. Besteht die Sorge, dass die Vollzugsbehörde in Anbetracht ihrer bisherigen restriktiven Lockerungspraxis dem Verurteilten auch weiterhin keine oder keine zureichenden vollzugsöffnenden Maßnahmen gewähren wird, hat das Gericht alle prozessualen Möglichkeiten zur Gewährleistung der künftigen Entlassung des Verurteilten auszuschöpfen und kann selbst ein konkretes Lockerungs-programm anordnen (Anschluss an BVerfG NJW 2009, 1941 ff).

 

Tenor

  1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - U. vom 25. Juni 2020 aufgehoben.
  2. Die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts E. vom 30. Mai 1963 - wird zur Bewährung ausgesetzt.
  3. Der Verurteilte ist am am ---- aus der Strafhaft zu entlassen.
  4. Die Bewährungszeit wird auf fünf Jahre festgesetzt.
  5. Der Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit ab dem Zeitpunkt dieses Beschlusses dem für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfer unterstellt.
  6. Dem Verurteilten werden folgende Auflagen und Weisungen erteilt:

    1. Er hat entsprechend der von ihm am 24. Februar 2021 erteilten Zustimmung nach seiner Entlassung für die Dauer von mindestens einem Jahr in einer betreuten Wohneinrichtung in U. oder an einem anderen Ort möglichst im badischen Landesteil nach Auswahl in Zusammenarbeit mit seinem Bewährungshelfer Wohnung zu nehmen und alles zu unterlassen, was Anlass für eine von ihm zu vertretende Beendigung des zugrundliegenden Mietvertrages führen könnte. Diesen Wohnsitz darf er nur mit Zustimmung des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - U. wechseln.

      Der Verurteilte hat bis zum ----- der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts U. eine ihm ab dem ---- zur Verfügung stehende Wohnmöglichkeit in einer betreuten Wohneinrichtung durch Vorlage eines Mietvertrages nachzuweisen.

    2. Er hat ab dem Zeitpunkt des vorliegenden Beschlusses monatlich mindestens drei therapeutische Gespräche bei der - Forensischen Ambulanz Baden (FAB) - Herrn Dipl. Psych. PP Dr. S. - wahrzunehmen, wobei diese wegen der Covid-19-Pandemie bis zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus der Haft auch fernmündlich oder audio-visuell oder in der JVA D. oder einer der Einrichtungen der FAB durchgeführt werden können. Danach sollten die Gespräche - wenn möglich - im persönlichen Kontakt geführt werden.
    3. Der Verurteilte hat sich binnen drei Monaten nach dieser Entscheidung im Klinikum K. bei Herrn Leitenden Oberarzt Dr. X. gemeinsam mit seinem Therapeuten oder seinem Bewährungshelfer vorzustellen und abklären zu lassen, ob ihm aus medizinischen Gründen nach seiner Haftentlassung Cannabis auf Rezept verschrieben werden kann.
    4. Dem Verurteilten wird der Kauf und der Besitz von Waffen jeglicher Art, insbesondere von Schuss-, Hieb- oder Stichwaffen, gleich ob erlaubnispflichtig oder erlaubnisfrei, untersagt.
  7. Die JVA D. wird verpflichtet, den Verurteilten auf seine Entlassung vorzubereiten, nach besten Kräften ihn und seine Bewährungshelfer bei der Suche nach einer betreuten Wohneinrichtung zu unterstützen und ihm insbesondere folgende vollzugsöffnenden Maßnahmen nach § 9 JVollzGB III BaWü zu gewähren:

    Wird ausgeführt

  8. Die Entscheidung über die Erteilung von weiteren Weisungen, auch im Hinblick auf die konkrete Wohnsitznahme des Verurteilten nach seiner Entlassung sowie im Hinblick auf eine Änderung,...

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