Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzustellung durch Einwurf der Ladung in einen Gemeinschaftsbriefkasten
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Gemeinschaftsbriefkasten für mehrere Mietparteien erfüllt die Voraussetzungen des § 180 Satz 1 ZPO, wenn er durch entsprechende Beschriftung eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten ermöglicht, dieser typischerweise seine Post über den Gemeinschaftsbriefkasten erhält und der Kreis der Mitbenutzer überschaubar ist.
Normenkette
StPO § 37; ZPO § 180 S. 1, § 418
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Entscheidung vom 17.12.2009; Aktenzeichen 5 Ns 1472 Js 23038/08) |
Tenor
Die Beschwerde auf Kosten des Verurteilten (§ 473 I StPO) verworfen.
Gründe
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 17.06.2009 legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein. Durch Verfügung des Kammervorsitzenden vom 21.09.2009 wurde Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 19.11.2009 9.00 Uhr bestimmt. Die Ladung wurde dem Angeklagten am 25.09.2009 im Wege der Ersatzzustellung gem. § 180 ZPO zugestellt. Da er zum Berufungshauptverhandlungstermin nicht erschien, wurde seine Berufung durch Urteil gemäß § 329 I StPO verworfen. Das Urteil wurde dem Angeklagten in gleicher Weise wie die Ladung am 24.11.2009 zugestellt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29.11.2009, bei Gericht eingegangen am 09.12.2009, beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Zur Begründung trug er vor, er habe die Ladung nicht erhalten. Der Angeklagte verfüge "nicht über einen Briefkasten für sich", es gebe vielmehr "nur einen Briefkasten für 6 Parteien", die Ladung müsse "irgendwie abhanden gekommen sein, weil er sie nicht erhalten" habe. Das Landgericht hat die Wiedereinsetzung verworfen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingegangene Beschwerde, mit der vortragen wird, der Angeklagte wisse nicht, wie die Ladung abhanden gekommen sei, verbunden mit einem näher begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist des § 329 III StPO.
Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag verworfen.
Es kann dahinstehen, ob dem Angeklagten gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsgesuches nach § 329 III StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist und ob hierüber der Senat entgegen § 46 I StPO die Erstentscheidung treffen kann (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 329 Rn 44a). Jedenfalls dem Angeklagten kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung gewährt werden.
Zwar entspricht es ständiger Senatsrechtsprechung, dass ein zum Termin nicht ordnungsgemäß geladener Angeklagter dem Säumigen gleichzustellen ist, obgleich ein Fall der Säumnis nicht gegeben ist. Danach ist auch dem Nichtsäumigen - ohne Rücksicht auf sein etwaiges Verschulden bei der Versäumung der Berufungshauptverhandlung - in entsprechender Anwendung der §§ 329 III, 44, 45 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Ladungsmangel vorliegt, dieser kausal für sein Nichterscheinen ist und er fristgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag mit den nach §§ 44, 45 II StPO erforderlichen Tatsachenangaben stellt (Senat, Beschl. v. 11.04.2007 - 3 Ws 372/07 mzwN; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 329, Rn 41 mwN.; OLG Köln, NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm in NStZ 1982, 521 f). Der Antragsteller hat hierzu einen Sachverhalt vorzutragen und glaubhaft zu machen, dem sich das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung ebenso wie deren Ursächlichkeit für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung ohne Weiteres entnehmen lässt (Senat aaO.; OLG Hamm, Beschl. v. 06.10.2009 - 3 Ss 425/09 - juris). Diesen Begründungsanforderungen wird das Wiedereinsetzungsgesuch nicht gerecht.
Der Angeklagte hat schon nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass er zu der Berufungshauptverhandlung am 19.11.2009 nicht ordnungsgemäß geladen worden ist. Ausweislich der gemäß § 37 I StPO i.V. mit § 182 I 2 ZPO formell ordnungsgemäß ausgestellten und unterzeichneten Zustellungsurkunde vom 25.09.2009 ist dem Angeklagten an diesem Tag die Ladung - im Wege der Ersatzzustellung gem. § 37 I. 1 StPO i.V. mit § 180 ZPO - durch Einlegen in den zur Wohnung des Angeklagten gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Als öffentliche Urkunde begründet diese gemäß §§ 182 I 2, 418 I ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich demzufolge auch darauf, dass der Postzusteller die Sendung am 25.09. 2009 in einen zur Wohnung des Angeklagten gehörenden Briefkasten eingeworfen hat (OLG Frankfurt [10. Zivilsenat], Urt. v. 31.03.2009 - 10 U 185/08; OLG Köln, OLGR 2001, 298 zu § 182 ZPO a.F.; vgl. auch Senat, Beschl. v. 25.02.2004 - 3 Ws 212/04 mwN; BVerfG, NJW 1992, 225; NStZ-RR 1998, 73f.; NJW-RR 2002, 1008). Auf Grund der Postzustellungsurkunde ist daher von einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten auszugehen.