Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Geschwindigkeitsmessung bei standardisiertem Messverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Grundsätzlich nur äußerst zurückhaltende richterrechtliche Korrekturen zur Erreichung eines fairen Verfahrens in straßenverkehrsrechtlichen OWi-Sachen verhindern, dass das Prinzip des fair trial entgegen seiner individualrechtlichen Verwurzelung im Menschenwürdeprinzip zur kleinen Münze im justiziellen Alltagsbetrieb verkommt und zweckwidrig als Instrument der Hochzonung prozessualer Unannehmlichkeiten in Verfassungsverstöße durch die Verfahrensbeteiligten umfunktionalisiert wird.
2. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren, welches insbesondere durch das Verlangen des Betroffenen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ und einer Parität des Wissens geprägt ist, folgt nur, dass ein Anspruch auf Informationszugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde tatsächlich vorhandenen Informationen besteht.
3. Die grundsätzliche Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Geschwindigkeitsmessung unter Verwendung eines standardisierten Messverfahrens (hier: PoliScan FM1) hängt nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit oder Plausibilisierung der Daten ab, die der Messung zugrunde liegen.
4. Ein Verwertungsverbot resultiert nicht aus einer „gezielten staatlichen Beweisrekonstruierungsvereitelung“ durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB); hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
Verfahrensgang
AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.01.2022; Aktenzeichen 980 OWi - 443 Js 3965/21) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 11.1.2022 wird als unbegründet verworfen, weil die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf das Rechtsbeschwerdevorbringen hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.
Der Betroffene hat die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Regierungspräsidium Stadt1 hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 7.12.2020 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h eine Geldbuße in Höhe von 160,- Euro festgesetzt sowie - verbunden mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht Frankfurt am Main gegen den Betroffenen mit Urteil vom 11.1.2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h eine Geldbuße in Höhe von 320,- Euro festgesetzt sowie - verbunden mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht angebrachten und ebenso begründeten Rechtsbeschwerde.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit steht kein Verfahrenshindernis entgegen.
a) Verjährung ist nicht gem. § 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG eingetreten, da die Verjährung durch Erlass des Bußgeldbescheides gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen wurde. Die nicht nachweisbare formgerechte Zustellung durch die Verwaltungsbehörde ist nach den Regeln des Freibeweises (vgl. Gericke, in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 25) gem. § 51 Abs. 1 Var. 2 OWiG i.V.m. § 8 VwZG (vgl. Lampe, in: KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 51 Rn. 99 und zum hessischen Landesrecht Danker, in: VwZG, 2012, § 8 Rn. 10) geheilt worden. Der Zeitpunkt, in welchem der Empfangsberechtigte das Dokument tatsächlich erhalten hat, kann sich aus dem Verhalten des Betroffenen ergeben, indem er zum Beispiel einen Rechtsbehelf einlegt (Danker, in: HK-VerwR, 5. Aufl. 2021, § 8 Rn. 5). Ausweislich der Ausführungen im Einspruchsschriftsatz vom 15.12.2020 ist der Bußgeldbescheid dem Betroffenen am 14.12.2020 tatsächlich zugegangen.
b) Eine - grundsätzlich denkbare (vgl. Mitsch, in: KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 21) - Einstellung aus Opportunitätsgründen gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG kommt in dem vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht. Ungeachtet der Frage, ob dieser Gesichtspunkt überhaupt inhaltlich willkürfrei für die Begründung einer Einstellungsentscheidung herangezogen werden dürfte (vgl. Mitsch, in: KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 110 ff.), fehlt es bereits an der vom Betroffenen behaupteten datenschutzrechtlichen Verletzung der Vorschrift in § 30 Abs. 1 Nr. 2 StVG. Die Verwaltungsbehörde ging auf der Grundlage der Zeugenbefragung der Frau A von einen Tatverdacht gegen den Betroffenen aus; die Anfrage an den Fahreignungsregister erfolgte erst daran anschließend.
2. Die vom Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
a) Die gerügten Verletzungen der Grundsätze auf ein faires Verfahren, auf rechtliches Gehör und auf effektive Verteidigung liegen - ungeachtet der Frage, ob die Rügen ordnungsgemäß ausgeführt sind, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO - jedenfalls nicht vor. Soweit der Betroffene im inhaltlichen Kern sein...