Leitsatz (amtlich)

Die Einschränkung der Möglichkeit für Strafgefangene, aus einer sozialtherapeutischen Anstalt Telefongespräche zu führen, setzt eine nachprüfbare Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte voraus.

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Aktenzeichen 1 StVK 68/00)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme des Gegenstandswertes aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel zurückverwiesen. Der Gegenstandswert wird auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500 DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt in der JVA K. I (Sozialtherapeutische Anstalt) eine Freiheitsstrafe. Nach der in dieser Anstalt 10 Jahre geltenden Hausverfügung bestand die Möglichkeit, täglich in der Zeit von 6 Uhr bis 21. 30 Uhr mit handelsüblichen Telefonkarten nach außen zu telefonieren und werktags von 19 Uhr bis 20 Uhr, samstags, sonntags und feiertags von 14. 30 Uhr bis 15 Uhr von auswärts Telefongespräche entgegenzunehmen. Am 6. Oktober 1999 erließ das Hessische Ministerium der Justiz einen Runderlaß, wonach die Insassen der Justizvollzugsanstalten ab 1. Dezember 1999 nur noch 2 mal wöchentlich für jeweils 5 Minuten telefonieren dürfen, wobei die Telefonnummern vorher bekannt zu geben sind und der AVD bei den Gesprächen mithört. Außerdem können Telefonkarten nur noch über den Anstaltskaufmann erworben werden. Diesen Runderlaß setzte die Vollzugsbehörde im November 1999 durch eine wortgleiche Hausverfügung um. Gegen diese Verfügung hatte der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, weil die Neuregelung in unzulässiger Weise die ihm nach dem Strafvollzugsgesetz und dem Grundgesetz zustehenden Rechte beschränke. Er sei gehindert, seine sozialen Kontakte nach außen aufrecht zu erhalten. Außerdem stelle die neue Regelung einen Verstoß gegen die §§ 32 und 23 StVollzG dar, da die Mindestdauer für eine Besuchszeit von 1 Stunde auch für die Mindestdauer von Telefongesprächen gelten müsse. Ferner sei die ständige Überwachung der Telefongespräche rechtswidrig. Demgegenüber hatte die Vollzugsbehörde im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, daß ihre den Runderlaß des Hessischen Ministeriums der Justiz umsetzende Hausverfügung keine nach § 109 StVollzG angreifbare Einzelmaßnahme darstelle. Außerdem sei die Beschränkung der Entgegennahme von Telefonaten aus organisatorischen Gründen zulässig.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer das Begehren des Antragstellers, die Vollzugsanstalt zu verpflichten, ihm die Möglichkeit zu geben wie bislang Telefongespräche nach außen führen und entgegennehmen zu können, zurückgewiesen. Die das Telefonieren neu regelnde Hausverfügung der Vollzugsbehörde sei zwar nach § 109 StVollzG anfechtbar, weil sie auch ohne das Hinzutreten eines umsetzenden Einzelaktes verbindlich sei und damit eine unmittelbare rechtliche Wirkung entfalte. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei jedoch unbegründet, weil die angegriffene Hausverfügung keinen Ermessensfehler erkennen lasse. Sie ermögliche es dem Antragsteller, die zur Aufrechterhaltung seiner familiären Beziehungen notwendigen Telefonate zu führen und berücksichtige damit sowohl das Vollzugsziel des § 2 StVollzG als auch den durch Art. 6 GG gebotenen Schutz von Ehe und Familie. Innerhalb der seitens der Vollzugsanstalt vorgesehenen Telefonzeiten sei es möglich, die sozialen Kontakte nach außen aufrecht zu erhalten. Ein Verstoß gegen § 24 StVollzG, wonach eine Mindestbesuchszeit von 1 Stunde im Monat vorgesehen sei, liege nicht vor. Da nach § 32 S. 1 StVollzG kein Rechtsanspruch für den Gefangenen bestehe, Telefongespräche zu führen, bestehe auch keine Verpflichtung der Vollzugsanstalt, eine bestimmte Mindestdauer festzusetzen. Hinsichtlich der eine Allgemeinverfügung darstellenden früheren und neu erlassenen Hausordnung kämen die Vorschriften über die Rücknahme eines nur einen Einzelnen begünstigenden Verwaltungsaktes nicht zur Anwendung. Dem Antragsteller sei auch durch die 10jährige Geltung der vorhergehenden Hausordnung kein Rechtsanspruch infolge Gewohnheitsrecht auf die dort festgelegten Telefonzeiten erwachsen. Die bei den Telefongesprächen vorgesehenen Überwachungsmaßnahmen dienten der Sicherheit und Ordnung und seien damit sachlich gerechtfertigt.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und ebenso begründete Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der die Verletzung materiellen Rechts rügt. Der angefochtene Beschluß verstoße gegen § 32 StVollzG und gegen die Art. 2 u. 6 GG. Außerdem habe bereits die alte Hausordnung als Allgemeinverfügung einen auch einen Einzelnen begünstigenden Verwaltungsakt dargestellt, so daß für dessen Aufhebung die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung zur Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes anzuwenden seien. Allein schon aufgrund der Dauer der geltenden Hausordnung sei ein Vertrauenstatbestand des Antrags...

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