Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Familienrichters durch das Jugendamt
Leitsatz (amtlich)
Zur Besorgnis der Befangenheit eines Familienrichters, der vor Anordnung der Herausgabe eines Säuglings vom Jugendamt an die Mutter, das Jugendamt nicht anhört und seine Entscheidung nicht begründet.
Normenkette
SGB 8 § 42; BGB § 1632 Abs. 1; FamFG §§ 38, 42, 162 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.06.2010; Aktenzeichen 468 F 14080/10) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert:
Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen den Richter am AG ... wird für begründet erklärt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die am ... geborene Antragstellerin hat drei Kinder, nämlich X, geb. am ..., Y, geb. am ... und Z, geb. am ...
X und Y sind fremduntergebracht, und zwar zurzeit jeweils mit Einverständnis der Antragstellerin, nachdem sie - nach den Darstellungen des Jugendamtes in dem Verfahren des AG - Familiengericht - Frankfurt (Az.: 468 F 14060/10) vom 29.04. und 12.5.2010 - erhebliche Auffälligkeiten gezeigt hatten (Bl. 35 - 47 d.A.). In dem genannten familiengerichtlichen Verfahren, das Y betrifft, hat am 20.5.2010 vor dem abgelehnten Richter ein Anhörungstermin stattgefunden, in dem man sich auf die Fortdauer der am 11.5.2010 erfolgten Fremdunterbringung und auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Erziehungseignung der Mutter geeinigt hatte.
Nach der Geburt von Z am ... wollte die Antragstellerin mit dem Kind am ... 2010 das Krankenhaus verlassen und sich zu ihrer Mutter begeben. Das Jugendamt war damit nicht einverstanden und nahm das Kind in Obhut. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin beim AG noch am Abend desselben Tages den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Herausgabe des Säuglings beantragt. Am 15.6.2010 hat der abgelehnte Familienrichter die verfahrensgegenständliche Herausgabeanordnung erlassen und außerdem Anhörungstermin für den 30.6.2010 bestimmt. Das Jugendamt, das von der streitigen Entscheidung erst mit Zustellung des Beschlusses durch den Gerichtsvollzieher erfahren hat, hat mit Schriftsatz vom 16.6.2010 gleichzeitig Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt und einen Befangenheitsantrag gestellt.
Mit Beschluss vom 18.6.2010 hat das AG durch die Vertreterin des abgelehnten Richters die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung bis zum 30.6.2010 ausgesetzt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG den Befangenheitsantrag zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 30.6.2010 hat es der Beschwerde des Jugendamtes nicht abgeholfen.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft (§§ 6 Abs. 2 FamFG) und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 6 Abs. 2 FamFG, 567, 569 ZPO). Für die Entscheidung ist die originäre Einzelrichterin zuständig (§§ 6 Abs. 2 FamFG, 568 ZPO)
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Bei zusammenfassender Würdigung liegen im vorliegenden Fall Umstände vor, die i..S..d. §§ 6 Abs. 1 FamFG, 42 Abs. 2 ZPO geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Auch bei vernünftiger Betrachtungsweise handelt es sich hier, vom Standpunkt des Jugendamtes aus, um objektive Gründe, welche seine Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (vgl. Zoeller, ZPO, 25. Aufl. § 42 Rz. 9).
Der abgelehnte Richter hat verfahrensfehlerhaft gehandelt und damit das Jugendamt zu der Annahme veranlasst, dass er diesem gegenüber im vorliegenden Verfahren voreingenommen ist. Er hat dessen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und seine - weitreichende - Entscheidung nicht genügend gem. § 38 FamFG begründet. Insbesondere lassen die Beschlussgründe nicht erkennen, warum Gefahr im Verzug gewesen sein soll und warum die ihm aus dem Parallelverfahren bekannten Bedenken des Jugendamts bezüglich der Erziehungsfähigkeit der Mutter keine Rolle spielen sollten. Dem Beschluss vom 15.6.2010 lässt sich auch nicht entnehmen, ob die besondere Rolle des Jugendamtes, das zum Schutz des Kindeswohls verpflichtet ist, berücksichtigt wurde.
Zwar berechtigen rechtsfehlerhafte Entscheidungen und Verfahrensverstöße grundsätzlich nicht zur Ablehnung eines Richters. Hinzu kommen muss vielmehr, dass Gründe hervortreten, die dafür sprechen, dass die Fehlerhaftigkeit auf Voreingenommenheit beruht (vgl. BAG v. 29.10.1992 - 5 AZR 377/92, MDR 1993, 383 = NJW 1993, 879; (Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rz. 28). Bloße Irrtümer, Fehlvorstellungen und Nachlässigkeiten, die objektiv willkürliche Entscheidungen nach sich ziehen können und oftmals deren Ursache sind, führen nicht zwingend zu dem Schluss, der Richter sei deshalb nicht mehr in der Lage, sich der Sache unvoreingenommen anzunehmen (OLGReport Frankfurt 2002, 250-253).
Im vorliegenden Fall sieht der Senat aber den Verfahrensverstoß als so schwerwiegend an und der abgelehnte Richter hat sich damit auch so weit von einem normaler Weise in vergleichbaren Fäll...