Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts für ein bereits im Inland anhängiges selbständiges Sorgerechtsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Ein ausländisches Scheidungsverfahren führt nur dann nach der EG-Verordnung Nr. 1347/2000 zur Zuständigkeit des ausländischen Gerichts für ein bereits im Inland anhängiges selbstständiges Sorgerechtsverfahren, wenn das ausländische Scheidungsverfahren vor einem staatlichen Gericht geführt wird.
2. Ein zwischen in Deutschland lebenden Muslimen griechischer Nationalität vor dem Mufti in Griechenland geführtes Scheidungsverfahren ist trotz der in Griechenland durch Art. 5 Abs. 2 des griechischen Gesetzes 1920/1991 anerkannten Gerichtsbarkeit des Mufti in Angelegenheiten zwischen griechischen Muslimen bezüglich der Ehescheidung und der Vormundschaft kein staatliches Scheidungsverfahren im Sinne der EG-Verordnung Nr. 1347/2000 und im Sinne der EG-Verordnung Nr. 2201/2003.
3. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung des Mufti vom zuständigen griechischen Gericht gem. Art. 5 Abs. 3 S. 2 des griechischen Gesetzes Nr. 1920/1991 für vollstreckbar erklärt wurde, da die Vollstreckbarerklärung keine inhaltliche Überprüfung der Mufti-Entscheidung beinhaltet.
4. Ist eine ausländische Sorgerechtsentscheidung ergangen, ohne dass die betroffenen Kinder die Möglichkeit hatten, gehört zu werden, steht dies sowohl nach Art. 23 lit. b der Verordnung 2201/2003 als auch nach Art. 15 Abs. 2 lit. b der Verordnung 1347/2000 der Anerkennungsfähigkeit entgegen, weil dies gegen in § 50b FGG zum Ausdruck kommende wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt.
Normenkette
EG-VO 2201/2000 15; EG-VO 2201/2003 23; EG-VO 2201/2003 64
Verfahrensgang
AG Rüsselsheim (Beschluss vom 19.01.2004; Aktenzeichen 7 F 36/03) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder ..., geb. am ...1994, und ..., geb. am ...1996, wird auf die Antragstellerin übertragen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO). Die Erstattung von außergerichtlichen Kosten der Beteiligten untereinander wird nicht angeordnet. Der Wert des Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt (§§ 131 Abs. 2, 30 KostO).
Gründe
Die Beteiligten zu 1) und zu 2), die beide griechische Staatsangehörige muslimischen Glaubens sind, haben am 14.6.1993 die Ehe geschlossen, aus der die Kinder ... und ... hervorgegangen sind. Nachdem der Antragsgegner bereits im Laufe des Jahres 2002 zu der Annahme gelangte, die Antragstellerin unterhalte ein ehewidriges Verhältnis zu einem anderen Mann, geriet die Ehe der Parteien zunehmend in eine Krise, was im März 2003 dazu führte, dass die Antragstellerin mit den gemeinschaftlichen Kindern aus der Ehewohnung auszog. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem Frauenhaus bezog sie im April 2003 eine Wohnung in Y-Dorf, wo sie seitdem mit den Kindern lebt.
Die Parteien streiten darüber, wo die Kinder ihren Aufenthalt haben sollen. Beide nehmen jeweils für sich in Anspruch, bis zur Trennung den Hauptteil der elterlichen Verantwortung getragen zu haben und trotz der jeweiligen Erwerbstätigkeit am besten in der Lage zu sein, die Erziehung und Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Beide fordern für sich ein, dass ihr jeweiliges Begehren dem Willen der Kinder entspreche.
Das AG hat mit dem angefochtenen Beschluss nach Anhörung der Eltern und der Kinder und nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Psychologin A. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder auf den Kindesvater übertragen und den Vollzug dieser Entscheidung bis zum Eintritt ihrer Rechtskraft ausgesetzt. Ausschlaggebend war für das AG, dass nach Ansicht der Gutachterin die Kinder eine intensivere Bindung zu dem Vater hätten und dieser auch das großzügigere und stabilere soziale Umfeld bieten könne. Da die Sachverständige zugleich die Befürchtung geäußert hatte, dass es wegen der beim Vater vorherrschenden Verachtung für die Mutter bei einem Aufenthaltswechsel zu einem Abbruch der sozialen Beziehungen der Kinder zur Mutter kommen könne, hat das AG zugleich für den Fall des Aufenthaltswechsels das Umgangsrecht der Kindesmutter geregelt.
Mit ihrer fristgerechten Beschwerde strebt die Antragstellerin weiterhin die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Kinder auf sich an. Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Entscheidung. Beide Parteien werfen sich wechselseitig vor, die Kinder unter Druck zu setzen und den Kindeswillen nicht zu akzeptieren. Sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner nehmen weiterhin jeweils für sich in Anspruch, der Aufenthalt bei ihnen entspreche dem Willen der Kinder.
Nach Anhängigkeit des Sorgerechtsverfahrens betrieb der Antragsgegner im Laufe des Jahres 2003 bei dem Mufti in O1 (Griechenland) ein Verfahren auf Scheidung der Ehe und auf Regelung der elterlichen Sorge. Am 4.8.2003 erging eine Entscheidung des Inquisitionsgerichts der Muftia O1 des Inhalts, dass die Ehe ...