Leitsatz (amtlich)
1.
Gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung gem. § 40 III StPO sprechen gewichtige Bedenken, wenn die Angeklagte zum Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung und deren Bewirkung unter Betreuung stand und der Aufgabenbereich des Betreuers gerade auch die Vertretung in Rechtsangelegenheiten sowie den Postverkehr mit Behörden und Gerichten umfasste.
2.
Jedenfalls kann einer Angeklagten, für die Betreuer mit diesem Aufgabenkreis bestellt worden ist, die versäumte Mitteilung ihrer neuen Anschrift nach einem Wohnungswechsel an das Gericht dann nicht zu Verschulden gereichen, wenn sie sich ordnungsgemäß polizeilich umgemeldet hat.
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Entscheidung vom 12.02.2004; Aktenzeichen 3 Js 245.1/01 - 4 Ns - K(44)) |
Tenor
1.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2.
Der Angeklagten wird auf ihre Kosten (§ 473 VII StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 18.11.2003 gewährt.
3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last (§§ 473 III, 467 I StPO in entsprechender Anwendung).
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafkammer das Wiedereinsetzungsgesuch der Angeklagten gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zurückgewiesen. Zu dieser war die Angeklagte unter Bezugnahme auf § 40 III StPO durch öffentliche Zustellung (Anordnung am 20.10.2003, Aushang an der Gerichtstafel vom 24.10.-14.11.2003) geladen worden, aber nicht erschienen. Zur Begründung führt die Kammer aus: Die öffentliche Zustellung sei wirksam und das Nichtverschulden an der Terminsversäumung nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht. Die Angeklagte habe es nach ihrem eigenen Vorbringen verabsäumt, dem Gericht nach Entlassung aus dem Klinikum O1 ihre neue Anschrift mitzuteilen und diese auch nicht bei Klinikum hinterlassen zu haben, so dass die fehlende Terminskenntnis in ihren Risikobereich falle.
Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Es ist form- und fristgerecht eingelegt. Die Angeklagte war auch zur Einlegung befugt. Sie steht zwar ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts Weilburg vom 14.10.2003 (Bl. 344 d.A.) unter Betreuung und umfasst der Aufgabenbereich der Betreuerin ausdrücklich u.a. "..die Vertretung gegenüber ...Behörden und sonstigen Institutionen, die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post sowie (sonstige) Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten". Die Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt führt indes - Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit der Angeklagten bestehen nicht - lediglich dazu, dass die Betreuerin gesetzliche Vertreterin der Betreuten wird (§ 1902 BGB), also für diese in Rechtsangelegenheiten, also auch in vorliegender Strafsache, Rechtsmittel einlegen kann (vgl. NdLSG, Urt. V. 21.3.2001 -L 4 KR 104/99 zit. nach JURIS; Roth, in: Dodegge/Roth, Betreuungsrecht 2003, Teil D Rn 72; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., § 1902 Rn 2 mwN). Die Geschäftsfähigkeit der Betreuten bleibt durch die - hier erfolgte - Bestellung einer Betreuerin ohne Einwilligungsvorbehalt indes unberührt (Roth, Teil A Rn 42). Prozesshandlungen der Betreuten- zumal für sie lediglich rechtlich vorteilhafte (Erst -Recht-Schluss aus §§ 1903 III BGB) wie hier der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Einlegung der sofortigen Beschwerde - bleiben - deshalb ebenfalls wirksam (vgl. NdLSG und Diederichsen jew. aaO; Roth, Teil A Rn 42, 45).
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Es kann dahinstehen, ob eine Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung nach § 40 III StPO - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, - schon deswegen ausscheidet, weil die Hauptverhandlung, auf welche sich die zugestellte Ladung bezog, nicht nur zur Verhandlung über eine Berufung der Angeklagten, sondern zugleich auch über eine solche der Staatsanwaltschaft diente. Nach Auffassung des Senats sprechen wegen der angeordneten Betreuung, die bereits bei Anordnung der öffentlichen Zustellung (20.10.03) erfolgt war und sowohl zum Zeitpunkt deren Bewirkung (Ablauf des 7.11.03, § 40 I StPO) als auch der Hauptverhandlung (18.11.2003) fortbestand, gewichtige Gründe gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung (1), so dass der Angeklagten schon wegen des Mangels einer wirksamen Ladung Wiedereinsetzung zu gewähren wäre (vgl. Meyer/Goßner, § 329 Rn. 41 m. w. N.). Jedenfalls hat die Angeklagte ihre Terminssäumnis dieserhalb nicht verschuldet (2).
1.
Ausschließlicher Zweck des § 40 III StPO ist es, einer missbräuchliche Verschleppung des Verfahrens über die (alleinige) Berufung des Angeklagten durch diesen entgegenzuwirken (vgl. Paulus, in: KMR, § 40 Rn 14). Ohne die Vorschrift hätte er es nämlich in der Hand, eine Verwerfung seiner Berufung gem. § 329 I StPO dadurch zu verzögern, dass er nach Einlegung der Berufung seinen bisherigen Wohnsitz aufgibt, ...