Leitsatz (amtlich)
1. In vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren kommt eine Verfahrensbeendigung durch Vergleich in Betracht, soweit nicht über die am Vergleich beteiligten Parteien hinaus Interessen Dritter berührt werden.
2. Die Bindungswirkung des Vergleichs schließt eine erneute Rüge solcher Beanstandungen aus, die mit dem Vergleich erledigt (behoben) werden sollten.
3. Soweit die Bindungswirkung des Vergleichs reicht, ist sie auch von der Vergabekammer in einem erneuten Nachprüfungsverfahren zu beachten und schließt ein Aufgreifen solcher Verstöße, die durch den Vergleich erledigt werden sollten, von Amts wegen aus.
Normenkette
GWB §§ 97, 107 Abs. 2-3; VOF § 20
Verfahrensgang
Vergabekammer des Landes Hessen (Beschluss vom 07.10.2011; Aktenzeichen 69d VK-34/2011) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 7.10.2011 (Az.: 69d-VK 34/2011) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Nachprüfungs- und des Beschwerdeverfahrens haben die Antragstellerin und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte zu tragen.
Die zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlichen Aufwendungen der Beigeladenen hat die Antragstellerin zu tragen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
Der Streitwert wird auf 144.470,46 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Antragsgegner schrieb im Dezember 2010 im Verhandlungsverfahren nach Teilnahmewettbewerb den Dienstleistungsauftrag "Bauüberwachung Tunnel ... BAB A., VKE." europaweit aus. Am Teilnahmewettbewerb beteiligten sich zehn Bewerber, von denen im März 2011 vier zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden. Als Zuschlagskriterien wurden genannt: "Preis/Honorar mit einer Wichtung von 30 %, Qualität mit einer Wichtung von 40 %, fachlicher und technischer Wert mit einer Wichtung von 30 %". Für den fachlichen und technischen Wert sollte die fachliche Präsentation im Auftragsgespräch maßgeblich sein.
Die Antragstellerin und die Beigeladene wurden im April 2011 zu einem Auftragsgespräch eingeladen, welches durchgeführt und worüber ein Protokoll erstellt wurde. Mit Schreiben vom 2.5.2011 wurde die Antragstellerin gem. § 101a GWB darüber informiert, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es (nur) 496,31 von 500 möglichen Punkten erreicht habe.
Die der Antragstellerin zugleich mitgeteilte Wertung ergibt, dass ihr bei den Kriterien Qualität und fachlicher und technischer Wert jeweils die höchstmögliche Punktzahl zuerkannt worden ist. Lediglich bei dem Kriterium Preis/Honorar wurden ihr von maximal erreichbaren 150 Punkten nur 146,31 Punkte zuerkannt. Das Angebot der Beigeladenen erhielt bei den Kriterien Qualität und fachlicher und technischer Wert ebenfalls die volle Punktzahl. Da es preislich jedoch an erster Stelle vor dem Angebot der Antragstellerin lag, wurde der Beigeladenen die insgesamt höchste Punktzahl (500) zuerkannt und beabsichtigt der Antragsgegner, den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen.
Mit Schriftsatz vom 6.5.2011 rügte die Antragstellerin das ihr mitgeteilte Wertungsergebnis und den Wertungsvorgang als vergaberechtswidrig und forderte den Antragsgegner zur Neubewertung auf. Im Einzelnen beanstandete sie, für die Auftragserteilung sei der Preis ausschlaggebend gewesen, weil bei den Kriterien Qualität und fachlicher und technischer Wert zwischen den Bietern keine Differenzierungen vorgenommen worden seien. Die sachgerecht gewichteten und durch Unterkriterien ergänzten Zuschlagskriterien schlössen es nach aller fachlichen Erfahrung aus, dass insbesondere nach der fachlichen Präsentation im Auftragsgespräch nur so geringfügige Unterschiede bestünden, dass letztlich eine Differenz von 3,69 von 150 Punkten bei einem nur mit 30 % gewichteten Kriterium ausschlaggebend sein könne. Dies sei nur erklärbar, wenn alle Bieter bei Qualität sowie fachlichem und technischem Wert nahezu identisch bewertet worden seien, weshalb der Wertungsvorgang gegen §§ 11, 21 VOF verstoße und wiederholt werden müsse.
Nachdem der Antragsgegner eine Abhilfe verweigerte, leitete die Antragstellerin ein (erstes) Nachprüfungsverfahren ein mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu vorzunehmen. In der mündlichen Verhandlung vom 7.7. schlossen die Beteiligten vor der Vergabekammer folgenden Vergleich:
1. Die Antragstellerin nimmt den Nachprüfungsantrag vom 11.5.2011 zurück.
2. Die Vergabestelle verpflichtet sich, das Verfahren unter Beibehaltung der Angebote und der Wertungskriterien in das Stadium vor der Einladung zum Auftragsgespräch zurückzuversetzen und die Vergabestellenentscheidung mit der Mitteilung nach § 101a GWB transparent zu machen.
Darauf lud der Antragsgegner die Antragstellerin und die Beigeladene erneut zu Auftragsgesprächen, die am 28.7.2011 durchgeführt und protokolliert wurden. Im Erg...