Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewinnabschöpfungsverfahren gegen ein Wasserversorgungsunternehmen gemäß §§ 34, 31 GWB
Leitsatz (amtlich)
1. Die im Gewinnabschöpfungsverfahren unterbliebene Anhörung des betroffenen Versorgungsunternehmens kann im Beschwerdeverfahren dadurch nachgeholt werden, dass sich die Landeskartellbehörde mit den Einwänden des betroffenen Unternehmens ergebnisoffen auseinandersetzt.
2. Der sog. Metermengenwert (MMW) gibt den Gesamtabsatz Wasser pro Kilometer Wasserversorgungsnetz wieder, so dass sich in diesem Kriterium die wesentlichen Charakteristika eines Versorgungsgebietes widerspiegeln. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Landeskartellbehörde dieses Kriterium als zentralen Gesichtspunkt für die Beurteilung der Vergleichbarkeit anderer Wasserversorgungsunternehmen herangezogen hat.
3. Zur Frage, wann die Landeskartellbehörde ihr Aufgreifermessen für die Einleitung eines Kartellverwaltungsverfahren korrekt ausgeübt hat.
Normenkette
GWB §§ 31, 34, 56, 71; HVwVfG §§ 29, 45 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Landeskartellbehörde (Verfügung vom 23.12.2015; Aktenzeichen III 3 - 78 k 20-01/512-06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Übrigen die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 23.12.2015 (AZ. III 3 - 78 k 20-01 / 512-06) zur Vorteilsabschöpfung teilweise aufgehoben:
Der Beschwerdeführerin wird aufgegeben, den durch missbräuchlich überhöhte Wasserpreise erlangten wirtschaftlichen Vorteil im Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2010 in Höhe von EUR 8.669.000 an die Beschwerdegegnerin auszukehren.
Es wird festgestellt, dass die von der Beschwerdeführerin für Lieferungen und Leistungen im Zusammenhang mit der Wasserversorgung im Versorgungsgebiet Stadt1 verlangten Entgelte vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2010 insoweit missbräuchlich überhöht waren, als die Erlöse für die Versorgung mit Trinkwasser EUR 7.286.200 überstiegen.
Für die Tätigkeit der Beschwerdegegnerin wird eine Gebühr in Höhe von EUR 25.000 festgesetzt. Kostenschuldnerin ist die Beschwerdeführerin.
Von den Gerichtskosten hat die Beschwerdeführerin 48% und die Beschwerdegegnerin 52% zu tragen. Die Beschwerdegegnerin hat 52% der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin zu erstatten.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 17,944 Mio. festgesetzt.
Gründe
I. Die Stadtwerke Stadt1 AG (nachfolgend "Betroffene") ist zum 1.1.2002 durch Ausgliederung des bisherigen Eigenbetriebs "Stadtwerke Stadt1" geschaffen worden. Alleinige Anteilseignerin war die Stadt1. Bis Ende 2010 war die Betroffene für die öffentliche Trinkwasserversorgung im Stadtgebiet1 zuständig. Zum 1.1.2011 ging die Zuständigkeit für die öffentliche Trinkwasserversorgung von der Betroffenen auf die Stadt1 über, die seitdem auf der Grundlage einer Satzung Wassergebühren verlangt ("Rekommunalisierung").
Mit Schreiben vom 14.5.2002 leitete die hessische Landeskartellbehörde Energie und Wasser (nachfolgend "LKartB") gegen die Betroffene ein Verfahren wegen möglicherweise missbräuchlich überhöhter Wasserpreise ein. Die Betroffene erteilte der LKartB mehrfach Auskünfte und ihr wurde Akteneinsicht gewährt, wobei streitig ist, ob diese in die vollständigen Akten erfolgte. Am 28.10.2013 erließ die LKartB gegen die Betroffene eine Auskunftsverfügung (nachfolgend "Auskunftsverfügung"). Dagegen erhob die Betroffene am 27.11.2013 sofortige Beschwerde vor dem Senat (AZ. 11 W 44/13 und 11 W 43/13). Mit Beschluss vom 1.4.2014 ordnete der Senat nach Zustimmung der Parteien das Ruhen des Verfahrens an.
Mit Verfügung vom 23.12.2015 (nachfolgend "Verfügung") gab die LKartB der Betroffenen auf, einen Betrag in Höhe von EUR 17,944 Mio. an die LKartB herauszugeben. Diesen Betrag habe die Betroffene durch missbräuchlich überhöhte Wasserpreise im Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2010 erlangt. Da wegen der Rekommunalisierung der Betroffenen zum 1.1.2011 eine Abstellungsverfügung gemäß § 32 Abs. 1 GWB für die Zukunft und eine Rückerstattung gemäß § 32 Abs. 2a GWB nicht mehr möglich seien, sei der wirtschaftliche Vorteil abzuschöpfen (§ 34 GWB). Die LKartB hat festgestellt, dass die von der Betroffenen im genannten Zeitraum verlangten Wasserentgelte insoweit missbräuchlich überhöht waren, als die Erlöse EUR 5,63 Mio. überstiegen hätten.
Dies hat sie wie folgt begründet: Für die Berechnung des abzuschöpfenden Vorteils hat sie auf den Erlös der Betroffenen aus der Belieferung von Haushalts- und Kleingewerbekunden (nachfolgend "HuK-Kunden") sowie Sondervertragskunden (SVK-Kunden) im Jahr 2009 abgestellt, den sie mit 2,65 EUR/m3 ermittelt hat (Verfügung Rn. 36, 43, 142). Diesen Preis hat sie denjenigen von 14 Vergleichsunternehmen gegenübergestellt. Deren Preise hat sie wegen Unterschieden im Bereich der Wasserbeschaffung, der Wasserverteilung, sowie der B...