Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts wie ein Privater am Wirtschaftsleben teil und berechnet privatrechtliche Entgelte statt öffentlich-rechtlicher Gebühren, so ist ein Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung im Sinne von Art 74 Abs. 1 Nr. 16 GG möglich und sind die Vorschriften des GWB anzuwenden. Dem stehen weder landesrechtliche Vorgaben zur Kalkulation der Preise, noch ein öffentlich-rechtliches Genehmigungserfordernis entgegen, wenn der Anstalt ein nicht unerheblicher Spielraum bei der Bestimmung der Höhe der Preise verbleibt. Das grundrechtsgleiche Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG steht der Anwendung der Vorschriften des GWB nicht entgegen, wenn sich die Gemeinde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben privatrechtlicher Mittel bedient.
2. Dem absatzbasierten Erlösvergleich dürfen die um die Wasserentnahmeentgelte, Sondernutzungsgebühren und Konzessionsabgaben bereinigten Nettowasserpreise zugrunde gelegt werden.
Normenkette
GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 16, Art. 28 Abs. 2; GWB § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 2, § 22 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 Fassung: 1989-12-22, § 19 Abs. 4 Nr. 2 Fassung: 1990-02-20
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Betroffenen vom 8.6.2012 gegen den Beschluss des BKartA vom 4.6.2012, Aktenzeichen B 8 - 40/10, wird zurückgewiesen.
Die Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem BKartA in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Auslagen. Die Beteiligte zu 2. und die Beigeladenen tragen ihre in der Beschwerdeinstanz entstandenen jeweiligen notwendigen Auslagen selbst.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Betroffene ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts in der alleinigen Trägerschaft des Landes Berlin. Ihre Aufgaben sind die Wasserversorgung Berlins sowie die Ableitung und Reinigung des in Berlin anfallenden Abwassers einschließlich des Betriebs und der Unterhaltung von Oberflächenwasseraufbereitungsanlagen. Es besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang. Sie entstand durch die im Jahr 1999 erfolgte Teilprivatisierung der kommunalen Wasserbetriebe, bei der die RWE Aqua GmbH und die Veolia Wasser GmbH über eine Beteiligungsgesellschaft, an der sie jeweils hälftig beteiligt waren, eine Beteiligung von 49,9 % an der Berlinwasser Holding AG erwarben. Das Land Berlin war zu 50,1 % an der Berlinwasser Holding AG beteiligt. Die Holding wiederum war zu 49,9 % an der Betroffenen beteiligt. Das Land Berlin zu 50,1 %.
Das BKartA hat der Betroffenen mit dem angegriffenen Beschluss vom 4.6.2012 aufgegeben, ihre Trinkwasserpreise ab dem 1.1.2012 um rund 18 % abzusenken. Hierzu hat es der Betroffenen für die Jahre 2012, 2013, 2014 und 2015 jeweils steuer- und abgabenbereinigte Jahreshöchsterlöse je Kubikmeter für die Belieferung von Endkunden mit Trinkwasser in Berlin vorgegeben. Für die Jahre 2009 bis 2011 hat es sich die Anordnung der Rückerstattung überzahlter Entgelte an die Kunden vorbehalten.
Vor dem Erlass des Beschlusses hatte das BKartA zahlreiche Struktur- und Finanzdaten bei der Betroffenen und den Wasserversorgern der 37 anderen größten deutschen Städte abgefragt, überprüft und ausgewertet. Aufgrund dieser Daten hat es aus den befragten Unternehmen die Wasserversorger der Städte Hamburg, Köln und München ausgewählt, weil es diese für die Wasserversorger hält, die mit der Betroffenen am besten vergleichbar sind. Die Trinkwasserpreise der drei Vergleichsunternehmen sind um rund 25 % niedriger als die der Betroffenen. Das BKartA hat bei der angeordneten Absenkung der Trinkwasserpreise zugunsten der Betroffenen berücksichtigt, dass diese gegenüber den drei Vergleichsunternehmen wiedervereinigungsbedingt erhöhte Investitionen zu tätigen hatte.
Vor dem Erlass des Beschlusses konnte sich die Betroffene u.a. zu zwei Entwürfen des Beschlusses äußern.
Die Betroffene ist der Auffassung, die Vorschriften des Kartellrechts seien unanwendbar, weil sie keine privatrechtlichen Entgelte, sondern öffentlich-rechtliche Gebühren ("Gebühren im Preisgewand") berechne. Eine Doppelkontrolle durch die Verwaltungsbehörden und VG einerseits und durch die Kartellgerichte andererseits dürfe nicht stattfinden, denn sie verstoße gegen landesrechtliche und verfassungsrechtliche Vorschriften. Sie müsse sich die gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorgaben des Landes Berlin zur Preiskalkulation auch nicht zurechnen lassen. Eine konzernrechtliche Zurechnungsgemeinschaft zwischen dem Land und ihr könne es nicht geben, weil das Land insoweit hoheitlich und nicht unternehmerisch handele.
Die Betroffene ist weiter der Auffassung, es sei unzulässig, die Entgelte bei der Vergleichsbetrachtung und bei der Tenorierung um die Wasserentnahmeentgelte und die Sondernutzungsgebühren zu bereinigen. Es sei ferner fehlerhaft, bei der Auswahl der Vergleichsunternehmen die bestehenden Strukturunterschiede zwischen ihr und den drei Vergleichsunter...