Leitsatz (amtlich)
Selbst wenn ein Verhalten oder eine Äußerung einer Sachverständigen zunächst die Besorgnis der Befangenheit begründet hat, kann diese durch eine entsprechende Erläuterung, Klarstellung oder Entschuldigung ein ursprünglich berechtigtes Misstrauen ausräumen.
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 18.07.2014; Aktenzeichen 2/18 O 398/04) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerinnen gegen den Beschluss der 18. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main vom 18.7.2014 in Verbindung mit dem Beschluss vom 1.11.2016 über die Nichtabhilfe wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf EUR 32.191,65 festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerinnen, eine gesetzliche Kranken- sowie eine gesetzliche Pflegekasse, machen aus übergegangenem Recht ihres bis zum 17.2.1996 familienversicherten Mitglieds W. gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Behandlungs- und Pflegekosten in Höhe von insgesamt EUR 96.574,56 wegen vermeintlicher Organisations- und Behandlungsfehler geltend.
Das schwerstgeschädigte Kind W. ist am 18.2.1993 als erster von zwei Zwillingen in der Klinik der Beklagten zu 1 in Bad Soden geboren. Der Geburtsleiter der Schnittentbindung war der Beklagte zu 2, der gynäkologische Oberarzt.
W. leidet auf Grund des unter der Geburt eingetretenen hypoxisch-ischämischen Hirnschadens unter schweren körperlichen und geistigen Schäden.
Die Klägerinnen haben nach Einholung eines gynäkologischen und eines pädiatrischen Privatgutachtens u.a. (Behandlungs-) Fehler der Hebammen und der behandelnden Ärzte der Beklagten zu 1 sowie einen Organisationsfehler der Beklagten zu 1 behauptet.
Nachdem der Senat das am 17.3.2009 verkündete klageabweisende Urteil des LG mit Urteil vom 19.1.2010 (Bl. 578 ff. d.A.) aufgehoben hatte, erhob das LG auf der Grundlage der Beweisbeschlüsse vom 23.3.2011 (Bl. 610 f. d.A.) sowie vom 1.6.2012 (Bl. 673 f. d.A.) u.a. Beweis durch Einholung eines anästhesiologischen Sachverständigengutachtens, das die Sachverständige Prof. Dr. B. unter dem 7.5.2013 (Bl. 692 ff. d.A.) vorgelegt hat. Den Parteien wurde mit Beschluss des LG vom 22.5.2013 (Bl. 705 f. d.A.) Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Gutachten binnen sechs Wochen nach Zustellung gegeben. Mit Beschluss vom 3.7.2013 (Bl. 711 d.A.) hat das LG diese Stellungnahmefrist bis zum 16.8.2013 verlängert.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 14.8.2013 haben die Klägerinnen sodann beantragt, die Sachverständige Prof. Dr. B. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Die Klägerinnen machen geltend, die Sachverständige habe in ihrem Gutachten mit mehreren tatsächlichen Unterstellungen gearbeitet, die weder unstreitig seien, noch auf Basis der Dokumentation nachvollzogen werden könnten.
Die Sachverständige habe bei ihren Ausführungen unterstellt, dass die Herzdruckmassage nach Standard kontinuierlich durchgeführt worden sei, dass die Herzdruckmassage nur von nicht dokumentierten Intubationsmaßnahmen unterbrochen worden sei, dass in jedem Fall die Lungenbelüftung als Reanimationsmaßnahme garantiert und regelhaft erreicht worden sei, dass die Sicht auf die Epiglottis "verlegt" gewesen sei, dass die Intubation des Neugeborenen schwierig gewesen sei, dass die Anlage eines Nabelvenenzugangs nicht möglich gewesen sei, da die zuständige Anästhesistin kontinuierlich (mutmaßlich) mit Reanimationsmaßnahmen beschäftigt gewesen sei, und dass ein Wärme-Reanimations- bzw. Versorgungstisch für Neugeborene vorgehalten worden sei und der Säugling zumindest von der Außentemperatur habe gewärmt werden können. Das Gutachten der Sachverständigen sei "auf diese Art und Weise unbrauchbar" und begründe die Besorgnis der Befangenheit.
Wegen der näheren Einzelheiten des Befangenheitsgesuchs wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 14.8.2013 Bezug genommen (Bl. 733 ff. d.A.).
Nachdem die Sachverständige Prof. Dr. B. sich mit ihrer Zuschrift vom 22.11.2013 (Bl. 810 f. d.A.) zu dem Ablehnungsgesuch geäußert hatte, hat das LG mit dem angegriffenen Beschluss vom 18.7.2014 das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen (Bl. 845 ff. d.A.). Ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit liege nicht vor. Die Sachverständige habe in ihrem Gutachten "ausdrücklich den Stand der Dokumentation wiedergegeben" und vorhandene und von ihr "ausgefüllte" Lücken jeweils deutlich kenntlich gemacht und in ihrer Stellungnahme vom 22.11.2013 darauf verwiesen, dass angesichts der unzureichenden Dokumentation "eine sinnvolle Bearbeitung nur aufgrund verschiedener Unterstellungen in diesem Sinne möglich gewesen" sei.
Gegen diesen ihrem Prozessbevollmächtigten am 4.8.2014 (Bl. 853 d.A.) zugestellten Beschluss des LG haben die Klägerinnen mit Anwaltsschriftsatz vom 13.8.2014 (Bl. 855 d.A.) sofortige Beschwerde erhoben und diese mit Anwaltsschriftsatz vom 4.9.2014 begründet (Bl. 857 ff. d.A.). Die Klägerinnen haben insoweit u.a. ausgeführt, die Sachverständige dichte sachverhaltliche Konstruktionen hinzu, um bestimmte Vorgehensweisen zu plausibilisieren und zu rechtfertigen....