Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung der Barabfindung nach §§ 304 ff. AktG a.F.; Ermittlung des Unternehmenswerts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Standard IDW S 1 2005, ist aufgrund des damit verbundenen, in Wissenschaft und Praxis anerkannten Erkenntnisfortschritts zur Gewährleistung materieller Gerechtigkeit auch für einen Bewertungsstichtag im August 2001 zur Anwendung zu bringen.

2. Bei der Schätzung des Betafaktors ist regelmäßig auf das Raw Beta und nicht auf das Ad-justed Beta abzustellen.

3. Die Ermittlung des festen Ausgleichs anhand von Nachsteuerwerten ist gegenüber derjenigen anhand von Vorsteuerwerten vorzugswürdig, auch wenn dem Bewertungsstichtag das Halbeinkünfteverfahren zugrunde liegt.

 

Normenkette

SpruchG § 1; AktG §§ 304-305

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.01.2012; Aktenzeichen 3-8 O 150/01)

 

Tenor

Die sofortigen Beschwerden der beiden Vertreter der außenstehenden Aktionäre werden zurückgewiesen.

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerinnen wird der Beschluss der 8. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. vom 25.1.2012 unter Zurückweisung im Übrigen teilweise abgeändert und der Klarstellung halber wie folgt neu gefasst.

Der auf Einleitung eines Spruchverfahrens gerichtete Antrag des Antragstellers zu 4) wird als unzulässig verworfen.

Die Anträge der Antragsteller auf Bestimmung eines angemessenen Abfindungsbetrags für den von der Antragsgegnerin zu 1) mit der Antragsgegnerin zu 2) abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrag werden zurückgewiesen.

Der angemessene Ausgleich wird auf 12,63 EUR brutto vor typisierter Ertragssteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag je Stückaktie der A AG festgesetzt.

Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz einschließlich der Vergütung der beiden gemeinsamen Vertreter tragen die Antragsgegnerinnen. Die Antragsgegnerinnen haben ferner allen Antragstellern bis auf den Antragsteller zu 4) deren außergerichtliche Kosten erster Instanz zu ersetzen, soweit diese für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig waren. Im Übrigen findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.

Der Geschäftswert des Verfahrens vor dem Land- und vor dem OLG wird einheitlich auf 3 Mio. EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Antragsteller waren Aktionäre der Antragsgegnerin zu 1) (im Folgenden A AG). Die A AG war ein Versorgungsunternehmen in der ... Region mit dem regionalen Schwerpunkt O1. Die Gesellschaft handelte mit von Erzeugern gekauftem Gas, Strom und Wasser. Zudem produzierte sie zum Teil Strom, Wasser sowie Fern- und Nahwärme mit eigenen Anlagen. Für die Stromversorgung ihrer Kunden stand der Gesellschaft ein ca. 7.000 km langes Leitungsnetz vorwiegend im O1 Stadtgebiet zur Verfügung, wobei circa 45 % der beschafften Energie eigenerzeugt waren. Auch für die Gasversorgung konnte die Gesellschaft auf ein eigenes Netz zurückgreifen. Die Wasserversorgung stammte zu je einem Drittel aus eigenen Gewinnungsanlagen im O1 Stadtgebiet und im B, ein weiteres Drittel resultierte aus Fremdbezug. Schließlich erfolgte die Wärme- und Kälteerzeugung ebenfalls aus gesellschaftseigenen Heizkraftwerken, Blockheizkraftwerken und Heizwerken.

Das Grundkapital der A AG war zum 31.12.2000 in 5.560.000 Aktien eingeteilt. Hiervon waren 5.499.296 Namensaktien und 60.704 Inhaberaktien. Hauptaktionärin der A AG war die Antragsgegnerin zu 2), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Diese hielt 4.170.002 Namensaktien sowie 980 Inhaberaktien. Die übrigen Aktien, mithin insgesamt 1.389.018 Stück, befanden sich im Streubesitz sowie im Besitz der C AG.

Anfang des Jahres 2001 beabsichtigten die A AG und die Antragsgegnerin zu 2) den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages. Die Absicht gaben sie am 3.7.2001 im Rahmen einer ad hoc Mitteilung der Öffentlichkeit bekannt. Zum Zweck der Durchführung der beabsichtigten unternehmerischen Maßnahme beauftragten die Gesellschaften die D GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Ermittlung des Unternehmenswertes der A AG und damit verbunden der Höhe der jährlichen Ausgleichzahlungen nach § 304 AktG sowie der angemessenen Barabfindung nach § 305 Abs. 2 Nr. 3 AktG. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelte unter Anwendung des Standards IDW S 1 2000 einen Ertragswert der A AG i.H.v. 1.870,1 Mio. DM. Hieraus ergab sich eine Barabfindung von 171,97 EUR und ein jährlicher Nettoausgleich vor Abzug einer typisierten persönlichen Ertragssteuer von 9,48 EUR. Da sich der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs bezogen auf einen Zeitraum drei Monate vor der erstmaligen Bekanntgabe der Maßnahme auf 148,13 EUR belief und damit deutlich unterhalb des nach dem Ertragswertverfahren ermittelten anteiligen Unternehmenswertes lag, legte man dem beabsichtigen Unternehmensvertrag eine gegenüber dem Ertragswert geringfügig aufgerundete Barabfindung i.H.v. 172 EUR bzw. 336,40 DM zugrunde. Die jährliche Ausgleichszahlung wurde auf 9,48 EUR je Stückaktie festgesetzt. Die zur Kompensation für die außenstehenden Aktionäre angesetzten Beträ...

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