Normenkette
GG Art. 6 Abs. 2; BGB §§ 1631b, 1906 Abs. 4, § 1666
Verfahrensgang
AG Offenbach (Aktenzeichen 309 F 2459/11) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die achtjährige XX leidet an einer durch eine tuberkulöse Meningitis verstärkten allgemeinen Entwicklungsstörung, die eine Kommunikation mit ihr erheblich erschwert. Sie legt ein ausgeprägt aggressives Verhalten gegen sich und andere an den Tag. Da die Kindeseltern mit dieser Situation zu Hause nicht mehr zurecht kamen, brachten sie XX in der offenen Pflegeeinrichtung XX unter. Wie auch zu Hause muss XX im Kinderhaus aufgrund der von ihr ausgehenden Selbst- und Fremdgefährdung regelmäßig durch Klett-Manschetten an Armen und Beinen im Rollstuhl fixiert werden. Beim Duschen muss sie von einer Betreuerin festgehalten werden, da XX dabei versucht zu treten und zu beißen. Nachts wird XXs Bett durch einen Verschlag gesichert, da sie sich sonst herausfallen lässt.
Mit ihrem Antrag haben die Kindeseltern die familiengerichtliche Genehmigung dieser Maßnahmen bzw. ihres Einverständnisses mit diesen Maßnahmen begehrt. Das AG hat den Antrag mit dem angegriffenen Beschluss vom 24.4.2012 zurückgewiesen, da die Zustimmung der Eltern keiner Genehmigung bedürfe.
II. Die nach §§ 58 ff., § 151 Nr. 6, § 167 Abs. 1, § 312 Nr. 1, §§ 335 f. FamFG zulässige, insbesondere nach § 335 Abs. 2, § 167 Abs. 1 Satz 2 FamFG statthafte Beschwerde des Verfahrensbeistands von XX hat in der Sache keinen Erfolg, eine mündliche Verhandlung wurde bereits im ersten Rechtszug vorgenommen, zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Verhandlung sind nicht zu erwarten. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.4.2012 und die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung des AG Bezug genommen.
Das von den Kindeseltern erteilte Einverständnis in die von der Einrichtung, in der XX untergebracht ist, beabsichtigten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bedarf keiner familiengerichtlichen Genehmigung.
Die Vorschriften des deutschen Rechts sind anzuwenden, selbst wenn die Kindeseltern und XX ausschließlich marrokanische Staatsangehörige sein sollten. Zum einen sieht Art. 21 EGBGB vor, dass materiell das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zum anderen ist nach Art. 15 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, die Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (KSÜ) von den zuständigen Behörden das in ihrem Staat geltende Recht anzuwenden. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 5 Abs. 1 KSÜ, da XX ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Das KSÜ ist zum 1.1.2011 für Deutschland in Kraft getreten. Es gilt auch für Angehörige von Nichtvertragsstaaten (Palandt/Thorn, BGB, 71. Aufl. 2012, Anhang zu Art. 24 EGBGB Rz. 13). Unabhängig davon ist auch Marokko Vertragsstaat. Die Frage, ob eine freiheitsentziehende Maßnahme bei einem Kind der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf, richtet sich - wie das AG zutreffend angenommen hat - nach § 1631b BGB und nicht nach § 1906 BGB. Das gilt nicht nur bei bestehender elterlicher Sorge, sondern auch im Falle einer Vormundschaft, vgl. § 1800 Satz 1 BGB, oder wenn eine Pflegschaft besteht, vgl. § 1915 Abs. 1 Satz 1, § 1800 Satz 1 BGB. Nach dem Wortlaut des § 1631b BGB ist - grundsätzlich - allein die Unterbringung eines minderjährigen Kindes in einer geschlossenen Einrichtung genehmigungspflichtig (vgl. nur BGH FamRZ 2012, 1556 (1558); Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl. 2012, § 1631b Rz. 2; ausdrücklich auch Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls, BT-Drucks. 16/6815, 8, 10). Für die Unterbringung volljähriger Betreuter durch den Betreuer findet sich eine entsprechende Regelung in § 1906 Abs. 1 BGB. Bei Betreuten bedürfen aber nach § 1906 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 BGB auch sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen in offenen Einrichtungen (sog. unterbringungsähnliche Maßnahmen; dazu Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl. 2012, § 1906 Rz. 30, 34) der familiengerichtlichen Genehmigung. Zu solchen sonstigen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gehört beispielsweise - wie im vorliegenden Fall - das Anbringen von Bettgittern oder die Fixierung im Stuhl mittels eines Beckengurts (vgl. BGH FamRZ 2012, 1372 (1373); LG Essen FamRZ 1993, 1347 (1348); AG Recklinghausen FamRZ 1988, 653 (657); a.A. in Bezug auf § 1631b BGB - mit der Folge der Genehmigungspflichtigkeit -, da bereits eine echte Freiheitsentziehung vorliege: LG Berlin; FamRZ 1991, 365 (367 f.); AG Frankfurt/M., FamRZ 1988, 1209 (1210) - jeweils in Bezug auf eine Pflegschaft; Michalski/Döll, in: Erman, BGB, 13. Auf...