Leitsatz (amtlich)
1. Streiten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern um die Aufteilung der Betreuungszeiten des Kindes - wie hier im Kontext eines ursprünglich einvernehmlich praktizierten Wechselmodells - besteht im Hinblick auf das von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil.
2. Insoweit gebührt einer umgangsrechtlichen Entscheidung über den Fortbestand des Wechselmodells oder der künftigen Betreuungsaufteilung nach § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB der Vorrang gegenüber der Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB.
Verfahrensgang
AG Dieburg (Aktenzeichen 51 F 303/22 EASO) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer (im Folgenden Kindesvater) und die Beschwerdegegnerin (im Folgenden Kindesmutter) streiten im Eilverfahren um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter X, geb. am ...2012. Die Kindeseltern üben die elterliche Sorge gemeinsam aus.
Die Kindeseltern waren verheiratet. Sie wurden zwischenzeitlich mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Aschaffenburg vom 24.10.2022 rechtkräftig geschieden. Die Eltern leben seit Oktober 2020 getrennt voneinander. Im Rahmen des vor dem Amtsgericht Aschaffenburg unter Az. 3 F 428/21 bezüglich des Sorgerechts geführten Verfahrens einigten sich die Kindeseltern auf einen gewöhnlichen Aufenthalt von X. "derzeit" im Haushalt des Kindesvaters in G. X. lebte folglich seit der Trennung im Haushalt des Kindesvaters, zunächst in G. und seit April 2022 in S.
Bis Februar 2022 hatte X. wenig Kontakt zur Kindesmutter. Nach einem Umgangsverfahren beim Amtsgericht Aschaffenburg (Az. 3 F 1145/21) wurden eine Umgangspflegschaft und begleiteter Umgang zwischen X. und der Kindesmutter installiert. Im Rahmen der Umgangspflegschaft und begleitender Elterngespräche einigten die Kindeseltern sich auf unbegleitete Umgänge. Der Umgang stabilisierte sich.
Der Kindesvater war zunächst nicht berufstätig. Der Kindesvater arbeitet seit Juli 2022 wieder.
Im Mai 2022 war X. wegen eines Krankenhausaufenthaltes des Kindesvaters längere Zeit bei der Kindesmutter. Nach Rückkehr des Vaters aus dem Krankenhaus verweigerte die Kindesmutter die Rückkehr von X in den Haushalt des Kindesvaters. Der Kindesvater hat daraufhin mit Schriftsatz vom 20.05.2022 das vorliegende Verfahren eingeleitet.
Der Kindesvater hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Kindesmutter könne sich aufgrund ihres Studiums und ihrer Arbeit nicht ausreichend um X. kümmern. Sie sei auf die Unterstützung ihrer Mutter angewiesen.
Der Kindesvater hat erstinstanzlich beantragt,
ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für X, geboren am ...2012 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu übertragen.
Die Kindesmutter hat erstinstanzlich beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Kindesmutter war erstinstanzlich der Meinung, der Kindesvater sei unzuverlässig. Es gehe X. nicht gut und X. solle bei ihr leben. Der Kindesvater könne wegen seiner neuen Arbeitsstelle die Betreuung oft nicht übernehmen.
Nach einem Gespräch mit der Verfahrensbeiständin nach Einleitung des Verfahrens einigten die Kindeseltern sich darauf, X. ab dem 17.06.2022 im wöchentlichen Wechsel zu betreuen und eine sozialpädagogische Familienhilfe zu beantragen. Im August 2022 teilten die Kindeseltern und die Verfahrensbeiständin mit, dass der Wechselmodus gescheitert sei und nicht dem Kindeswohl entspreche. Der Kindesvater war nach Mitteilung der Verfahrensbeiständin aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen nicht in der Lage, zuverlässig die Betreuung von X. sicherzustellen. Es sei immer wieder nötig gewesen, dass die Kindesmutter die Betreuung von X. haben übernehmen müssen.
Im September 2022 einigten sich die Kindeseltern daraufhin im Rahmen eines weiteren Gesprächs mit der Verfahrensbeiständin auf weitere Modalitäten hinsichtlich der Betreuung von X. für den Fall, dass ein Elternteil zu Beispiel wegen Krankheit an der Betreuung verhindert ist. Ansonsten sollte das Wechselmodell weitergeführt werden.
Die Verfahrensbeiständin hat sich erstinstanzlich zuletzt dafür ausgesprochen, dass vorläufig keine Regelung zum Sorgerecht getroffen wird. Es sei kritisch, X. aktuell in einen Haushalt zu verorten, da möglicherweise im Hauptsacheverfahren eine andere Entscheidung ergehen müsse. Im Rahmen des einzuholenden Gutachtens in der Hauptsache müsse auch die Erziehungsfähigkeit der Eltern überprüft werden. Eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung würde X. mehr belasten.
Die Verfahrensbeiständin war der Auffassung, dass X. zutiefst verunsichert sei und im Haushalt der Eltern keinen Halt und Stabilität erlebe. Die Eltern hätten es nicht geschafft, ihre Tochter aus dem Loyalitätskonflikt herauszuhalten. Vielmehr sei in der Vergangenheit teil...