Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortgeltung gemeinschaftlichen Testaments mit wechselbezüglichen Verfügungen nach Ehescheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Fortgeltung eines gemeinschaftlichen Testaments mit wechselbezüglichen Verfügungen nach Ehescheidung.
2. Formanforderungen an einen in einem gerichtlichen Vergleich über die Scheidungsfolgen enthaltenen Erbvertrag.
3. Zur Frage des Fortbestandes eines nach § 2298 Abs. 1 BGB teilweise nichtigen Erbvertrages nach § 2298 Abs. 3 BGB.
Normenkette
BGB §§ 133, 2077 Abs. 3, §§ 2084, 2268 Abs. 2, §§ 2274, 2298 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
AG Gießen (Beschluss vom 28.09.2011; Aktenzeichen 22 VI W 605/10) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat die der Antragstellerin im Verfahren der Beschwerde entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird auf Euro 80.000 festgesetzt.
Gründe
I. Bei der Antragstellerin handelt es sich um die geschiedene Ehefrau des Erblassers. Deren am 14.2.1975 geschlossene Ehe ist mit Urteil des AG Gießen - Familiengericht - vom 20.10.2006, rechtskräftig laut Vermerk seit 21.12.2006, geschieden worden (auf die beglaubigte Abschrift des Scheidungsurteils, Bl. 32 f. der Testamentsakte des AG Gießen zu Az .../78, wird Bezug genommen). Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.
Bei den Beteiligten zu 2) bis 8) handelt es sich um gesetzliche Erben des Erblassers, die sich im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht beteiligt haben; bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Freundin des Erblassers.
Die Antragstellerin hat den Erblasser am 25.9.2004 verlassen. Nachfolgend kam es dann zur Ehescheidung, in deren Zusammenhang am 20.10.2006 im Scheidungstermin eine mit "Vergleich" überschriebene Einigung der Eheleute zur Regelung der Scheidungsfolgen protokolliert worden ist, der Verhandlungen hinsichtlich des Inhalts zwischen den Eheleuten und der sie im Scheidungsverfahren vertretenden Rechtsanwälte vorausgegangen waren (auf das Protokoll des Scheidungstermins, das vom Nachlassgericht am 19.5.2010 eröffnet worden ist, wird wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 39 ff. der Testamentsakte des AG Gießen zu Az .../78 Bezug genommen). Der "Vergleich" der Eheleute beinhaltet u.a. deren Verzicht auf nachehelichen Ehegattenunterhalt und vorherigen Trennungsunterhalt (I), eine Verpflichtung der hiesigen Antragstellerin, ihren hälftigen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung der Eheleute, deren Wert im Protokoll mit geschätzten Euro 70.000 angegeben worden ist, auf den Erblasser zu Alleineigentum zu übertragen (II), damit im Gegenzug verbunden eine Freistellung der hiesigen Antragstellerin von sämtlichen Ansprüchen Dritter im Zusammenhang mit der Finanzierung und der Unterhaltung der Eigentumswohnung, wobei die Finanzierungsdarlehen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs noch mit Euro 23.699,65 angegeben worden sind (III), eine Abgeltung möglicher Forderungen der hiesigen Antragstellerin aus Zugewinnausgleich und Vermögensauseinandersetzung durch Zahlung des Erblassers an diese i.H.v. Euro 20.000,00, insgesamt fällig zum 1.2.2012, wobei der Erblasser der hiesigen Antragstellerin eine im Jahr 2012 fällig werdende Auszahlung seiner Lebensversicherung i.H.v. Euro 20.000 abgetreten hat (IV), eine Übertragung des auf die Eheleute laufenden Bausparvertrages mit einem Guthaben von ca. Euro 5.000 vollumfänglich auf den Erblasser gegen Freistellung der hiesigen Antragstellerin hinsichtlich Gebühren und Beiträgen (VI). Weiterhin ist unter V des "Vergleichs" folgendes vereinbart:
"Die Parteien haben am 18.1.1978 vor dem Notar N1 in O1 ein gemeinsames Testament zur Urkundenrollen Nr .../1978 errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Dieses Testament wird ausdrücklich auch für den Fall der rechtskräftigen Ehescheidung bestätigt. Es soll auch künftig bei der darin vorgenommenen Erbeinsetzung bleiben.
Alle anderweitigen Verfügungen der Parteien auf ihr Ableben werden hiermit vorsorglich und einvernehmlich widerrufen."
Am 17.5.2010 hat die Beschwerdeführerin bei dem Nachlassgericht ein handschriftliches Testament des Erblassers vom 22.4.2010 - eröffnet vom Nachlassgericht am 19.5.2010 - abgegeben (auf Bl. 25 der Testamentsakte des AG Gießen zu Az .../78 wird Bezug genommen). Dieses hat (soweit lesbar) folgenden Inhalt:
"A. 22.4.2010
... str1
Testament
Änderung und Nachtrag zum Testament vom 18.1.
Nummer ... der Urkundenrolle für 1978 - Notar N1 ...
Gießen AG Gießen geschäfts. Nr .../78..
Folgende Änderung und Nachtrag des Obenangeführ.
Testaments habe ich A beschlossen.
Das ich als alleinerbin Frau B
.... str2 nach meinem Tod einsetze
... den. 22.4.2010
A".
Mit notariellem Erbscheinsantrag vom 18.5.2010, Urkunde Nr .../2010 des Notars N2, eingegangen beim Nachlassgericht am 27.5.2010, hat die Antragstellerin beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin des Erblassers ausweist (wegen des Inhalts des Erbscheinsantrages im Einzelnen wird auf Blatt 1 ff. der Nachlassakte Bezug genomm...