Entscheidungsstichwort (Thema)
Unverbindlichkeit analog § 281 ZPO ergehender Verweisungsbeschlüsse an eine Spezialkammer nach § 72a GVG; Streitigkeiten aus Heilbehandlung gemäß § 72a Abs. 1 Nr. 3 GVG
Leitsatz (amtlich)
1. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO findet analoge Anwendung, wenn ein Zuständigkeitskonflikt zwischen zwei Spruchkörpern aufgrund gesetzlicher Zuständigkeitsregelungen besteht (Anschluss an BGH, Beschluss vom 26.07.2022 - X AR 3/22, juris). Voraussetzung einer Zuständigkeitsbestimmung ist dabei, dass sich beide Spruchkörper "rechtskräftig" für unzuständig erklärt haben.
2. In solchen Zuständigkeitstreitigkeiten findet § 281 Abs. 2 Nr. 4 ZPO analoge Anwendung (Anschluss an BGH, Beschluss vom 26.07.2022 - X AR 3/22, juris).
3. Ein Verweisungsbeschluss ist willkürlich und daher nicht nach § 281 Abs. 2 Nr. 4 ZPO bindend, wenn die den Beschluss tragenden Erwägungen aufgrund fehlender Begründung nicht erkennbar sind, wenn eine gegebene Begründung dahingehend widersprüchlich ist, dass sie - ohne dass das verweisende Gericht den Widerspruch auflöst - das gegenteilige Ergebnis nahelegt oder wenn der in der Begründung angenommene rechtliche Ansatz die Schlussfolgerungen offensichtlich nicht deckt.
4. Dafür, ob eine Streitigkeit im Sinne des § 72a Abs. 1 GVG vorliegt, kommt es auf den Streitgegenstand von Klage und gegebenenfalls Widerklage, nicht aber auf den Gegenstand einer geltend gemachten Aufrechnung an (Anschluss an OLG Schleswig 01.07.2021 - 2 AR 20/21, juris, Rn. 14).
5. Auseinandersetzungen zwischen einem Arzt und seiner privatärztlichen Verrechnugnsstelle über das Abrechnungsverhältnis stellen keine Streitigkeiten aus Heilbehandlung im Sinne des § 72a Abs. 1 Nr. 3 GVG dar. Die bloße Vorgreiflichkeit vergütungsrechtlicher Fragen genügt für die Annahme einer Heilbehandlungssache nicht.
Normenkette
GVG § 72a Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 281
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 15.12.2022; Aktenzeichen 2-07 O 36/22) |
LG Frankfurt am Main (Verfügung vom 14.02.2022; Aktenzeichen 2-04 O 37/22) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die funktionale Zuständigkeit richtet sich nicht nach § 72a I Nr. 3 GVG.
Die Sache wird unter Aufhebung des Beschlusses der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15.12.2022 an diese Kammer zurückgegeben, die die Frage ihrer Zuständigkeit abschließend nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts zu prüfen hat.
Gründe
I. Die Klägerin ist eine privatärztliche Verrechnungsstelle. Sie war mit der beklagten Augenärztin durch einen Factoring-Vertrag verbunden, nach dem die Beklagte ihre Honoraransprüche gegen ihre (Privat-) Patienten an die Klägerin abtrat und dafür von der Klägerin unter Abzug einer prozentual bemessenen Vergütung vorfinanziert und ausbezahlt erhielt. Der Klägerin oblag die Rechnungsstellung gegenüber den Patienten.
Mit ihrer am 20. Oktober 2020 zum Amtsgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage über 2.760,48 Euro nebst Kosten und Zinsen begehrt die Klägerin die teilweise Rückzahlung ausgezahlter Beträge. Die Parteien streiten insoweit u.a. über die richtige Abrechnung und damit die Höhe der Arzthonorare. Die Beklagte hält der Klägerin Ansprüche wegen unzutreffender Abrechnung gegenüber weiteren Patienten entgegen, die sie teilweise für eine Hilfsaufrechung und hilfsweise Widerklage über 2.760,48 Euro nebst Zinsen heranzieht und teilweise zum Gegenstand einer unbedingten Widerklage über 3.040,90 Euro nebst Zinsen gemacht hat.
Mit Beschluss vom 28.01.2022, Bl. 412 d.A., hat sich das Amtsgericht nach Anhörung der Parteien für sachlich unzuständig erklärt und die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dort ist die Sache zunächst der 7. Zivilkammer zugewiesen worden. Von dieser wurde am 08.02.2022, Bl. 413R d.A., ohne Anhörung oder Benachrichtigung der Parteien ein Vermerk angebracht, dass es sich um ein dem Sonderturnus Heilbehandlung zuzurechnendes Verfahren handeln "dürfte" und die Austragung der Sache und ihre Vorlage an die Klageeingangsstelle zur Eintragung im Sonderturnus "Heilbehandlung" verfügt.
Die Sache ist daraufhin der für Heilbehandlung zuständigen 4. Zivilkammer zugewiesen worden. Dort wurde mit Vermerk und Verfügung eines Kammermitglieds vom 14.02.2022, Bl. 415 f. d.A. ohne vorherige Anhörung der Parteien und ohne deren Benachrichtigung die Übernahme unter Darlegung der Gründe abgelehnt und die Sache wieder der 7. Zivilkammer übermittelt. Ob das Kammermitglied sich hierzu als Einzelrichter, Berichterstatter oder als (amtierender) Kammervorsitzender befugt sah, ergibt sich aus der Akte nicht.
Mit Verfügung vom 24.02.2022, Bl. 419 d.A., hat der Einzelrichter der 7. Zivilkammer die Wiedereintragung des Verfahrens verfügt, "da eine Zuständigkeit der 4. ZK nicht gegeben ist". Zugleich hat er Termin auf den 08.11.2022 anberaumt.
Mit Verfügung vom 03.11.2022, Bl. 427 d.A., hat er den Termin aufgehoben und unter Darlegung von Gründen darauf hingewiesen, dass die Sonderzuständigkeit nach dem "Sonderturnus Hei...