Entscheidungsstichwort (Thema)

Verpflichtung des Fahrzeugherstellers, Auskunft über GPS-Daten zu geben

 

Leitsatz (amtlich)

Aufgrund von § 100k StPO kommt es unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht, dass der Ermittlungsrichter einen Fahrzeughersteller verpflichtet, über in Echtzeit anfallende, ihm (hier im Rahmen des "Mercedes-me-connect"-Dienstes) auf einem Server zugängliche GPS-Standortdaten eines Kraftfahrzeugs Auskunft zu erteilen.

 

Normenkette

StPO §§ 100k, 100g; TMG § 1 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Entscheidung vom 27.04.2021)

 

Tenor

Die Beschwerde der drittbetroffenen X AG gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Gießen vom 27. April 2021 wird verworfen.

Die Drittbetroffene hat die Kosten ihrer Beschwerde zu tragen.

 

Gründe

I.

Dem flüchtigen Angeklagten wird vorgeworfen, (…). Er soll engen Kontakt zu einem A haben, der verdächtig ist (...) und seine Flucht weiterhin zu unterstützen. Dabei soll A einen Pkw Mercedes Benz … mit dem amtlichen Kennzeichen ... nutzen.

Das Fahrzeug sendet u. a. GPS-Positionsdaten an einen Server, auf dessen Daten eine Konzerntochter der X AG zugreift. Das Fahrzeug ist nämlich mit dem „Mercedes-me-connect“-Dienst verbunden, der seitens des Herstellers zunächst kostenfrei und anschließend, jedenfalls hinsichtlich eines Teils der Leistungen, gegen die Zahlung einer regelmäßigen Gebühr überlassen wird. Im Rahmen dieses Dienstes werden über eine festverbaute SIM-Karte eine Fülle von Daten an einen Server übermittelt. Damit werden vielfältige Funktionen eines „Multi-Media-Systems“ ermöglicht, wie etwa die Übermittlung von aktuellem Fahrzeugstandort, Kilometerstand, Reifendruck oder Kraftstoffstand an den Server, aber auch an ein vom Nutzer bezeichnetes Handy; auf diesem Weg kann der Berechtigte sein Fahrzeug orten, ein Notrufsystem kommuniziert nach einem Unfall automatisch mit einem Rettungsteam und übermittelt Standortdaten, es wird die Türfernschließung und -entriegelung ermöglicht, die Standheizung kann per Handy geregelt werden, es werden Live Traffic Informationen an den Fahrer übermittelt und dazu über den Server auch eine „Car-to-Car Communication“ betrieben, bei der die Fahrzeuge untereinander Daten zum Verkehrsfluss austauschen; außerdem erlaubt der Dienst ein mobiles Musik-Streaming. Auch Details wie das, ob der Beifahrerplatz belegt ist, sollen an den Server mitgeteilt werden. Zentrale der angebotenen Dienste, wie etwa die Ortung und die Navigationsdienste, können nicht angeboten werden, ohne dass das Fahrzeug seine GPS-Daten ermittelt und an den Server überträgt. Zur X AG als Holding Gesellschaft gehören unter anderem die X1 AG als Hersteller des fraglichen Pkw und die X2 GmbH. Letztere soll die Anbieterin der jeweiligen Dienstleistungen sein. Sie wird auf den entsprechenden Datenschutzhinweisen hinsichtlich des Dienstes „Connect Mercedes Benz“ als Verantwortliche im Sinne der DSGVO benannt. Der Datenschutzbeauftragte soll hiernach wiederum über die X AG selbst zu erreichen sein.

Die Ermittlungsbehörden nehmen darüber hinaus an, dass auch dann, wenn der Fahrzeugeigentümer eine Teilnahme am Mercedes-me-connect-Dienst ablehnt, zwar bestimmte Dienste nicht angeboten, gleichwohl aber eine Fülle von, den Ermittlungsbehörden im Einzelnen nicht bekannten, Daten zwischen Server und Fahrzeug ausgetauscht werden.

Auf Antrag der Staatanwaltschaft hat das Landgericht Gießen mit Beschluss vom 03. Februar 2021 unter Berufung auf § 100g Abs. 1 StPO i. V. m. § 96 TKG die Y GmbH und weitere Mobilfunkanbieter sowie die X AG „als Mitverpflichtete“ verpflichtet, Auskunft zu erteilen über sämtliche erhobenen und gespeicherten Verkehrsdaten inklusive der gemäß § 96 Abs. 1 TKG vorhandenen und noch zu erhebenden Standortdaten für die mit IMEI und ICCID näher individualisierten Anschlüsse des Fahrzeugs X1 des Nutzers A mit dem Kennzeichen .... Die Daten seien in einem Turnus von zwei Minuten zu übermitteln. Die Anordnung wurde bis zum 02. Mai 2021 befristet. Hiergegen hat die X AG unter dem 18. Februar 2021 Beschwerde eingelegt. Unter dem 25. Februar 2021 hat das LG Gießen der Beschwerde nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom 01. April 2021 hat das LG Gießen seinen Beschluss vom 03. Februar 2021 insoweit aufgehoben, als der Beschluss gestattete, vorhandene retrograde Standortdaten zu erheben. Im Übrigen hat es den Beschluss aufrechterhalten und ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erhebung von Verkehrsdaten und nicht retrograd ermittelten Standortdaten (insbesondere in Echtzeit) erfüllt seien.

Mit Beschluss vom 27. April 2021 hat das LG Gießen einen mit dem Beschluss vom 01. April 2021 inhaltsgleichen Beschluss erlassen, mit dem die X AG erneut als Mitverpflichtete verpflichtet wird, über die nach § 96 TKG erhobenen Verkehrsdaten bezüglich des benannten Fahrzeuganschlusses Auskunft zu erteilen, wobei die Erhebung der Standortdaten nur für künftig anfallende Verkehrsdaten zulässig sei und die Daten im Turnus von zwei Minuten zu übermitteln seien. Auch GPS-Da...

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