Leitsatz (amtlich)
1. Im einstweiligen Anordnungsverfahren nach §§ 49 ff. FamFG, das zunächst wegen konkreter Kindeswohlgefährdung nach §§ 1666, 1666a BGB eingeleitet wurde, kann wegen des einheitlichen Charakters des Sorgerechts als Verfahrensgegenstand auch noch im Beschwerdeverfahren eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach Maßgabe von § 1696 Abs. 1 BGB ergehen.
2. Starke seelische Belastungen des Kindes durch Konflikte mit dem bisherigen Aufenthaltselternteil und ein nachhaltig und wiederholt gegenüber verschiedenen Fachkräften geäußerter Wechselwunsch mit der Folge der Bitte des Kindes um Inobhutnahme können bei einem dauerhaft im Loyalitätskonflikt lebenden Kind triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe im Sinne des § 1696 Abs. 1 BGB sein und eine einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den anderen Elternteil rechtfertigen, wenn dem Aufenthaltswechsel keine sonstigen kindbezogenen Gründe entgegenstehen.
Tenor
Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juni 2017, Az.: 6 UF 294/16, wird dahingehend vorläufig abgeändert, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für X, geb. am ...2012, vorläufig auf die Beteiligte zu 5. allein übertragen wird.
Gerichtskosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 4. (im Folgenden Vater) und die Beteiligte zu 5. (im Folgenden Mutter) sind die Eltern des betroffenen, derzeit neunjährigen Kindes.
Die Kindeseltern waren zu keinem Zeitpunkt verheiratet und leben seit 2014 getrennt. In der Folge der Trennung führten die Eltern zahlreiche gerichtliche Streitigkeiten das Kind betreffend. Im Rahmen dieser Streitigkeiten hatten sie sich zeitweilig auf eine paritätische Betreuung und Versorgung des Kindes geeinigt. Nach einem Umzug der Mutter an ihren derzeitigen Wohnort hatte das Amtsgericht - Familiengericht - Bensheim mit Beschluss vom 31. Oktober 2016 die elterliche Sorge auf den Vater allein übertragen, auf die Beschwerde der Mutter änderte der Senat die amtsgerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 7. Juni 2017 dahingehend ab, dass nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das betroffene Kind auf den Vater allein übertragen wurde (Az.: OLG Frankfurt am Main, Az.: 6 UF 294/16). Ein im Jahr 2018 gestellter Abänderungsantrag der Kindesmutter dahingehend, dass ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein übertragen wird, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bensheim vom 27. März 2018, bestätigt durch den Senat mit Beschluss vom 6. Februar 2019 (Az. OLG Frankfurt am Main, Az.: 6 UF 122/18), zurückgewiesen.
Das Kind hatte wegen des anhaltenden und nachhaltigen Konflikts der Eltern eine Erziehungsbeistandschaft nach § 27 SGB VIII in Verbindung mit § 30 SGB VIII. Zuletzt hat das Kind mit Zustimmung beider Elternteile regelmäßige Gespräche mit einer Sozialpädagogischen Fachkraft des Programms HELP (sozialpädagogische Einzelfallbetreuung und Beratung im Sozialraum Schule) geführt, wobei der Vater seine Zustimmung vorübergehend zurückgezogen hatte, nachdem ein gewünschter Besprechungstermin mit der Fachkraft Anfang Dezember 2021 auf nach den Weihnachtsferien verschoben worden war (vgl. vom Vater vorgelegte E-Mail vom 6. Dezember 2021 an die Fachkraft).
Aufgrund von Wahrnehmungen von Lehrkräften über den seelischen Zustand des Kindes mit Hinweisen auf suizidale Äußerungen, des Inhalts der Gespräche des Kindes mit der Fachkraft, dem geäußerten Wunsch des Kindes, in den Haushalt der Mutter zu wechseln, und der Berichte des Kindes über die Qualität seines Verhältnisses zum Vater erging am 8. Dezember 2021 eine Meldung des Jugendamts nach § 8a SGB VIII, auf deren Inhalt im Einzelnen einschließlich des erstellten Aktenvermerks verwiesen wird. Eine Inobhutnahme erfolgte nicht, dem Kind wurden Maßnahmen aufgezeigt, die es im Bedarfsfall ergreifen kann. Am 10. Dezember 2021 wurde das Kind auf eigenen Wunsch in Obhut genommen und die Inobhutnahme dem Amtsgericht mitgeteilt. Auf den Inhalt der Mitteilung des Jugendamts an das Amtsgericht vom 10. Dezember 2021 im Einzelnen wird verwiesen. Das Kind wurde der Mutter übergeben, der Vater widersprach der Inobhutnahme.
Der Vater hat erstinstanzlich den Verfahrensablauf und insbesondere seine mangelnde Einbindung und mangelnde Information über einen Wunsch der Tochter, zur Mutter zu wechseln, kritisiert. Bei dem Kind seien keine Auffälligkeiten und Ängste feststellbar, es sei in die Familie des Vaters gut eingebunden. Behauptete Gewalt oder Wutausbrüche des Vaters gebe es nicht, vielmehr sei mit einer Gefährdung des Kindeswohls bei einem Verbleib im Haushalt der Mutter zu rechnen. Im Einzelnen wird insoweit auf die Stellungnahme des Vaters vom 14. Dezember 2021 und dessen vorgelegte eidesstattliche Versicherung vom 12. Dezember 2021 sowie die vorgelegten eidesstattlichen Versic...