Leitsatz (amtlich)
1. Der Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gemäß § 1671 BGB ist vorrangig zur Prüfung einer Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB, wenn hierdurch eine eventuell zuvor bestehende Kindeswohlgefährdung abgewendet wird.
2. Dabei spielt keine Rolle, ob das Verfahren ursprünglich wegen des Verdachts einer Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB oder wegen eines Elternantrags nach § 1671 BGB eingeleitet wurde; es handelt sich um ein einheitliches Verfahren.
Verfahrensgang
AG Tauberbischofsheim (Aktenzeichen 2 F 145/22) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Tauberbischofsheim vom 08.11.2023, Az. 2 F 145/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für das betroffene Kind E. K. W., geboren am ... Die Eltern von E. sind und waren nicht verheiratet; sie hatten - nach Aussage beider Eltern im Vaterschaftsfeststellungsverfahren 2 F 270/21 - von August bis November oder Dezember 2020 eine Beziehung geführt, aus der E. entstanden ist. Zu den Hintergründen der Trennung hat die Mutter in den Vorverfahren keine Angaben gemacht; im Beschwerdeverfahren gibt sie an, der Vater sei ihr gegenüber handgreiflich geworden und habe sie mitten in der Nacht auf die Straße setzen wollen. Der Vater hat angegeben, die Mutter habe die Trennung herbeigeführt und sei zu ihrem früheren Partner zurückgekehrt.
Da eine gemeinsame Sorgeerklärung nicht abgegeben wurde, stand die elterliche Sorge gem. § 1626a BGB zunächst der Mutter alleine zu. Die Vaterschaft des Vaters wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Tauberbischofsheim vom 02.05.2022 (2 F 270/21) nach Einholung eines Abstammungsgutachtens festgestellt. Im Vaterschaftsfeststellungsverfahren hat der Vater angegeben, er habe die Mutter bereits außergerichtlich um Einholung eines Abstammungsgutachtens gebeten, da sie innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit zu ihrem früheren Partner zurückgekehrt sei und ihn von der Schwangerschaft ausgeschlossen habe. Die Mutter habe ein solches Gutachten jedoch verweigert. Die Mutter hat sich hierzu im Abstammungsverfahren nicht geäußert, gibt aber nun im Beschwerdeverfahren an, der Vater sei für sie während der Schwangerschaft nicht erreichbar gewesen, er habe die Kindesmutter verweigert und seine Vaterschaft angezweifelt.
E. wuchs zunächst, bis zur Inobhutnahme durch das zuständige Jugendamt am 19.07.2022, im Haushalt seiner Mutter auf. E. und seine Mutter verbrachten ihre Zeit teilweise im eigenen Haushalt der Mutter, teilweise im Haushalt der Großeltern mütterlicherseits. Soweit das Jugendamt oder andere Dritte Kontakt zur Mutter aufnahmen und mit ihr einen Hausbesuch vereinbaren wollten, verwies die Mutter sie jeweils auf einen Besuch im häuslichen Umfeld der Großeltern mütterlicherseits oder aber ein Treffen im öffentlichen Bereich. Hausbesuche im Haushalt der Mutter fanden nicht statt.
Zu seinem Vater hatte E. im ersten Lebensjahr keinen Kontakt, obwohl der Vater den Kontakt suchte; aus seiner Sicht verweigerte die Mutter jeglichen Umgang. Die Mutter hat sich zu den Gründen, warum kein Umgang stattfand, nicht geäußert. In dem vom Vater eingeleiteten Umgangsverfahren 2 F 100/22 eA vereinbarten die Eltern am 19.05.2022, Kontakt zur Beratungsstelle W. aufzunehmen, um einerseits den Umgangskontakt des Vaters mit E. anzubahnen, andererseits die Elternkommunikation zu verbessern. Die Beratungsstelle W. war von der Mutter gegenüber der örtlich nähergelegenen Beratungsstelle T. präferiert worden. Nachdem der Vater dorthin Kontakt aufgenommen hatte, erfuhr er, dass die Mutter nun einen Beraterwechsel befürworte und die Beratungsstelle T. eingebunden werden sollte, womit der Vater ebenfalls einverstanden war. Mit der Beratungsstelle T. nahm die Mutter jedoch keinen Kontakt auf. Die Einleitung von Umgangskontakten des Vaters mit E. gelang daher vor der Inobhutnahme nicht.
Am 19.07.2022 wurde E. durch das zuständige Jugendamt in Obhut genommen.
Nach der Inobhutnahme lebte E. vom 19.07.2022 bis zum 03.01.2024 in einer Bereitschaftspflegefamilie. Das vorliegende Verfahren wurde im Anschluss an die Inobhutnahme am 22.07.2022 durch das Jugendamt eingeleitet, da die Mutter der Inobhutnahme zunächst widersprochen hatte. Der Vater hat mit Schriftsatz vom 05.08.2022 beantragt, ihm die alleinige elterliche Sorge für E. zu übertragen. Im Anhörungstermin am 09.08.2022 hat sich die Mutter mit der Fremdunterbringung von E. einverstanden erklärt. Eine zu diesem Zeitpunkt von allen Beteiligten befürwortete Unterbringung der Mutter gemeinsam mit E. in einer Mutter-Kind-Einrichtung scheiterte in der Folge, da die angefragten Einrichtungen nach einem Vorstellungsgespräch bei der Mutter keine Problemeinsicht und daher keine Basis für eine Zusammenarbeit sahen. Die Mutter meint hierzu, die jeweil...